zum Hauptinhalt

ZUR PERSON: „Wer sich irritieren lässt, stürzt ab“

Intendantin Kirsten Harms über die Krise der Deutschen Oper Berlin und Renato Palumbos Rückzug

Frau Harms, in der aktuellen „Opernwelt“-Umfrage ist Ihr Haus, die Deutsche Oper, zum „Ärgernis des Jahres“ gewählt worden. In den vergangenen zwei Jahren wurden Sie heftig attackiert , von der Politik wie von der Musikkritik. Haben Sie überhaupt noch Lust auf den Job?

Wieso von der Politik? Gerade die hat uns immer sehr unterstützt – sogar jemand wie Innenminister Schäuble hat seine anfänglich-vorschnell Kritik an der „Idomeneo“-Absetzung zurückgenommen, nachdem er von den Hintergründen erfahren hat. Übrigens: Die schlechtesten Früchte sind es nicht, an denen die Wespen nagen. Vor drei Jahren hat kein Kritiker mehr auf die Komische Oper gesetzt – mit Beharrlichkeit und Mut hat sich Intendant Andreas Homoki wieder in die erste Reihe gekämpft. Das wird auch uns gelingen.

Sie sind also rundum zufrieden?

Ich bin nie zufrieden – aber es gab hier kein finanzielles Chaos und auch kein organisatorisches, wie manche geunkt haben. Wir haben in dieser Spielzeit die Premierenzahl verdoppelt, Monat für Monat treten hier Weltstars auf. Wir renovieren das Gebäude, geben ihm seinen Charme und Glanz zurück, wir haben eine halbe Million Euro für die Gestaltung des GötzFriedrich-Platzes bei Sponsoren besorgt. Ich sage: Dieses Haus hat eine Riesenchance, wir können hier das ganz große Repertoire spielen, wie nur wenige Häuser in Deutschland. Unser Ensemble ist zu zwei Dritteln ausgetauscht, wir sind bis in die kleinste Nebenrolle top besetzt. Vieles haben wir gesät, jetzt braucht es seine Zeit, um sich zu entfalten. Ich habe eine fantastische Mannschaft.

Ihr Chefregisseur Alexander von Pfeil hat sich nicht so top entfaltet, seine „Arabella“ wie auch sein „Freischütz“ wurden verrissen. In dieser Saison darf er nun kein Stück inszenieren. Wird er trotzdem bezahlt?

Nein, denn er ist auf eigenen Wunsch aus der Deutschen Oper ausgeschieden.

Es gibt Gerüchte, dass Ihr Chefdirigent Renato Palumbo vor dem Ende seiner Amtszeit 2009 hinwerfen will.

Palumbo hat angeboten, sich zurückzuziehen. Aber ich hoffe, dass er das nicht wahrmacht. Er hat sehr viele Angebote von anderen Häusern.

Stimmt es, dass Ioan Holender, der Chef der Wiener Staatsoper, Ihnen Renato Palumbo als Chefdirigenten empfohlen hat?

Giancarlo del Monaco und Ioan Holender haben Palumbo entdeckt. Holender war es, der ihn zum ersten Mal an die Deutsche Oper holte. Neben Ricardo Muti schätzt Holender Palumbo als herausragenden Dirigenten im italienischen Fach. Auch ich bin absolut von Palumbo überzeugt, arbeite ganz hervorragend mit ihm zusammen.

Bei der Premiere des „Freischütz“ wurde Palumbo ausgebuht. Wird er ihn wie geplant im Oktober wieder dirigieren?

Nein, das übernimmt Dirk Kaftan. Auch die Neuproduktion des „Fliegenden Holländers“ hat er zurückgegeben. Ihn ersetzt Jacques Lacombe, der bei uns in der vergangenen Saison „Traumgörge“ dirigiert hat. Alles andere dirigiert Palumbo wie vereinbart. Ich freue mich besonders auf die drei „Traviata“-Abende mit Anna Netrebko im November sowie die „Aida“-Premiere im März 2008.

Wird Palumbo mit dem Druck, der auf dem Haus lastet, nicht fertig?

Den Druck spüre ich auch. Die Frage ist nur, wie deutlich man sein Ziel vor Augen hat. Ein Künstler ist ein Seiltänzer. Er läuft los, geht ein Risiko ein. Wenn dann ganz viele ihm von unten zurufen, „das schaffst du nie!“ und er sich irritieren lässt, dann wird er abstürzen. Oder man entscheidet sich, seinen Weg bis zu Ende zu gehen und dann zu schauen, was daraus geworden ist. Das ist eine Mentalitätsfrage.

Sie hatten Ihren Weg stets klar vor Augen?

Zu wissen, wie der Kurs der Deutschen Oper aussehen soll, war auch mir auf Anhieb nicht möglich, als ich im Sommer 2004 relativ plötzlich angetreten bin. Da gab es aber auch in keinem Fachgespräch irgend jemanden, der mir einen Weg vorgezeichnet hätte. Damals stand die Befürchtung im Raum, eines der Opernhäuser könnte geschlossen werden. Das sorgte für enorme Unsicherheit. Ich musste erstmal die Lage analysieren. Es gibt Kollegen, die versprechen das Blaue vom Himmel, und am Ende wird doch nichts daraus. Das ist nicht mein Stil.

Sie schweigen und lassen sich prügeln.

An Ideen mangelt es mir weiß Gott nicht! Vielleicht lerne ich daraus, einfach mal ein paar davon in die Gegend zu werfen. Aber im Ernst: Regisseure wie Katharina Thalbach, Andreas Kriegenburg und Jürgen Gosch werden hier arbeiten. Und der sensationell begabte Andris Nelsons wird einen neuen „Tannhäuser“ dirigieren, den ich zum Saisonbeginn 2008/09 hier inszeniere. Zufrieden?

Sie planen für Frühjahr 2009 eine neue Produktion mit Katharina Wagner. Die Inszenierung des „Trittico“, die die BayreuthErbin an der Deutschen Oper gemacht hat, war umstritten.

Katharina Wagner ist ein Riesentalent. Sie verfügt über viele Eigenschaften, die ein Regisseur braucht. Sie hat eine enorme Kreativität, eine große Musikalität und ein Händchen für Theatralik.

Wird sie ihren Bayreuth-Mitstreiter Christian Thielemann mitbringen, den früheren Musikchef der Deutschen Oper?

Das wäre schön. In diesem Fall wird es aber wohl nichts, weil es für Thielemann zu kurzfristig ist. Aber ich würde diesen Dirigenten wahnsinnig gern an der Deutschen Oper zurückhaben.

Wann?

Als er gegangen ist, hat er gesagt: Ich komme wieder, lasst aber bitte ein bisschen Zeit vergehen. Wir haben noch keine konkreten Pläne.

Ihre nächste Premiere ist ein Doppelabend mit Strauss’ „Elektra“ und Vittorio Gnecchis „Cassandra“. Wird das unbekannte Werk nicht durch die Konfrontation mit Strauss’ Meisterwerk denunziert?

Mich interessiert die Geschichte. „Elektra“ ist die Fortsetzung von „Cassandra“, es geht um denselben Konflikt. In „Cassandra“ sieht Klytämnestra keinen anderen Weg, als Agamemnon umzubringen. In „Elektra“ verfolgt sie diese Tat in ihren Träumen. Bisher hatte ich „Elektra“ nie wirklich verstanden. Man hört eindreiviertel Stunden eine strapaziöse Hasstirade auf Klytämnestra, die, wenn man die Vorgeschichte nicht kennt, als Zerrbild einer bösen Mutter erscheint. Am Ende ist man froh, dass sie erschlagen wird – weil endlich Ruhe ist. Ich glaube, durch meine Lesart mehr entdecken zu können. Ich will wissen: Was passiert mit der Wahrnehmung von Strauss’ Elektra-Figur, wenn ich auch die Vorgeschichte zeige?

Das sind reine Dramaturgenfragen.

Mich interessiert die Zuschauerwahrnehmung.

Peter Stein hat bislang noch nie Oper in Deutschland inszeniert. Werden Sie ihn dazu überreden können?

In der Tat hat zunächst Stephan Braunfels, der Enkel des Komponisten Walter Braunfels, ihn gefragt, ob ihn die szenische Uraufführung der „Heiligen Johanna“, dem letzten Werk seines Großvaters, reizen würde.Doch das Stück interessiert Stein nicht, weil er keinen Bezug zum Thema des katholischen Mystizismus hat. Nun wird Christoph Schlingensief das Stück inszenieren.

Um die Zukunft der Berliner Opernstiftung ist es schlecht bestellt, 11 Millionen Euro Defizit drohen bis Ende 2009. Keiner weiß, wie es wirklich weitergeht.

Wenn der Staat Opernhäuser unterstützt, dann investiert er in einen Bereich, der moralische Integrität repräsentiert. Ich finde es richtig, wenn sich das Land Berlin darum bemüht, dass der Bund bei der Stiftung finanziell einsteigt, weil es doch eine gemeinsame Verantwortung ist. Und was das drohende Defizit betrifft, so sind die 11 Millionen doch nur eine symbolische Zahl. Wenn Sie das in einen Prozentsatz des Gesamthaushaltes umrechnen, sehen Sie, dass diese Summe so gering ist, dass sich der Streit als Stellvertreterdiskussion entpuppt. Seit ich in Berlin bin, gab es aus der politischen Landschaft übrigens nie ein Signal, ein Opernhaus dichtzumachen. Das ist eine Angst, mit der in der Öffentlichkeit operiert wird, die aber nicht politisch gewollt wird. Die Berliner Situation ist auch ein Signal für die Theaterszene der gesamten Republik. Darum darf und wird es keinen weiteren Abbau der Zuschüsse geben.

Das Gespräch führten Frederik Hanssen und Rüdiger Schaper.

Kirsten Harms, geb. 1956 in Hamburg, studierte Musiktheater-Regie bei Götz Friedrich. 1983 gründete sie die Theatergruppe „Mimesis“, ging 1985 als Regieassistentin nach Dortmund und machte sich als freie Regisseurin einen Namen. 1995 wurde sie Intendantin der Oper Kiel, wo sie sich vor allem mit Ausgrabungen vergessener Werke profilierte.

2003 debütierte

Harms mit Rossinis

„Semiramide“ an der Deutschen Oper Berlin, deren Leitung ihr zum Herbst 2004 übertragen wurde. In der vergangenen Saison inszenierte sie dort Alberto Franchettis Germania. Nach einer wegen umfangreicher Renovierungsarbeiten im Bühnen- wie imFoyerbereich verlängerten Spielzeitpause wird Harms am 3. November als erste Saisonpremiere Strauss’

Elektra
mit Vittorio Gnecchis Cassandra

kombinieren.

Zur Startseite