Kultur: Puppendämmerung
Willy Decker und Michael Boder stemmen „Siegfried“ an der Semperoper in Dresden
Wotan, der abgehalfterte Göttervater, der das Einmischen nicht lassen kann, hämmert auf einem Schwert herum, um Mime, den „weisen Schmied“, zu wecken. Partiturgemäß wäre das rhythmisch fixierte Klopfen Aufgabe des Zwergs, der sich in zwangvoller Plage damit abmüht, ein berühmtes zerbrochenes Schwert neu zu schweißen. Aber der ist über der Mühe eingenickt, während der Gott schon wieder die Fäden zieht. Als Theatermann verschiebt er die Wände seines Welttheaters, indem er den Raum begrenzt. Weg mit dem Background, der die Vorgeschichte andeutet: Brünnhilde auf dem Felsen, Fafner mit seinem Goldschatz als einer riesigen Kugel. Alles schläft. Richard Wagner hätten solche sichtbaren Zeichen mitten in seinem „Ring des Nibelungen“ vielleicht recht gut gefallen, weil er ein notorischer Erklärer war. So wird berichtet, dass er beim „Rheingold“ daran dachte, das Erklingen des Schwertmotivs szenisch zu begründen, indem ein vergessenes Schwert aus dem Nibelungenhort auf der Bühne sichtbar würde. Wagners Hang zur Deutlichkeit, seine Sucht, verstanden zu werden, haben die Tetralogie um Stunden verlängert.
An der Dresdner Semperoper ist wieder Premiere: „Siegfried“ an Stelle von „Götterdämmerung“, die nun für Ende August vorgesehen ist, denn die Flutkatastrophe hat alle Pläne ins Rutschen gebracht. Ein bisschen verkorkst im Ganzen, enthält die Inszenierung Willy Deckers dennoch Spannung im Einzelnen. Seine Theatermetapher sagt: Da sind Bühnen, da sind Stühle. Nicht mehr Parkettreihen wie früher – die scheinen erst zum Finale im Hintergrund der großen Liebesszene Siegfried-Brünnhilde wieder auf –, sondern Holzstühle, in Mimes Höhle aufgehäuft wie Schutt. Dennoch eignen sich die harten Möbel des Ausstatters Wolfgang Gussmann dazu, als Zuschauerplätze und Wurfgeschosse instrumentalisiert zu werden. Decker spielt nicht simpel Theater im Theater, sondern er schickt seine Darsteller weiterhin ins Theater, damit sie wechselnd Zuschauer und Handelnde sein können.
Mime treibt die Sorge um. Die Erziehung des jungen Siegfried mit dem einzigen Ziel, dass der den Drachen töte, hat ihn körperlich ruiniert. Er schwitzt vor seinen Schiefertafeln voller chemischer Formeln, die ihm die Wiederherstellung des Schwertes „Nothung“ verweigern. Robert Wöhrle spielt diesen fett gewordenen Typ zum Erbarmen und sublimiert seinen Text mit klarer Artikulation. Eine kurze, übermütige Freude kommt in Mime auf, wenn er die erste Frage des Wanderers richtig beantworten kann. Diese ungleiche, ungerechte Wissenswette wird zu einem musikalischen Höhepunkt, weil die Aufgeregtheit des Verlierers gegen die Ruhe Wotans gesetzt ist, eine Souveränität, die sich das eigene Scheitern schönredet.
Der Sänger Robert Hale feiert solche Überlegenheit in großer baritonaler Kantilene. Siegfried, gekleidet in fesches alpines Weiß, ist ein Kind ohne Vergangenheit. Sein alleinerziehender Ersatzvater versucht naturgemäß vergeblich, ihn über die LIEBE (wie er’s mit Kreide anmerkt) zu belehren. Als Siegfried spät vom Tod seiner Mutter erfährt, wirft die Trauer ihn um, den kleinen Prinzen. So nämlich sieht er als winziges Double in Gestalt einer Handpuppe aus, mit der Mime, der machtlos erfinderische Zwerg, seinem Zögling und uns die Aufzucht des Babys demonstriert. Wenn es dann um das Fürchten geht, das Siegfried bisher nie erfuhr, zittert das Püppchen ganz gewaltig, der kleine Prinz im Kasperletheater des Nibelungen. Dem Sänger Alfons Eberz liegt derartiges Beben fern. Wie er den Ruf „So schneidet Siegfrieds Schwert!“ ohne Zäsur auf einen Atem nimmt, das kündet von Mut zu tenoralen Abenteuern und einer eigenständigen musikalischen Vorstellungskraft. Später erweckt er eine im Schlaf gereifte Brünnhilde: Deborah Polaski, volle Verkörperung der Rolle, die anfängt, der mörderischen Partie mit Vorsicht zu begegnen. Hartmut Welker und Birgit Remmert sind als Alberich und Erda seit „Rheingold“ etabliert, gestandene Wagnerstimmen wie Kurt Rydl, der Fafner.
Für das Waldbild steht eine kleine Bühne bereit, mit gemalten Tannenbäumen wie aus dem Weihnachtsmärchen. Dahin tendiert die Regie dann auch, wenn das singende Waldvöglein personifiziert wird: erst als Soubrette (mit leichter Höhe: Christiane Hossfeld), die sich immer wieder die Öhrchen zuhalten muss, weil Siegfried ein so jämmerlicher Rohrbläser ist. Nach der Erlegung des Drachens, eines Pappgesellen mit phosphorisierenden Konturen, wird der weißblaue Himmel hell, während Siegfried mit seinem Vögelchen entschreitet. Zum Überfluss verwandelt sich dieser Begleiter im dritten Akt in einen Knaben, kongruent im Stühleklettern und gleichen Sinnes mit seinem Herrn, bis er sich’s anders überlegt. Der lästige Vogelknabe nervt. Wie kriegt man eine eingeschlummerte Frau (Erda) von der Bühne? Man lässt sie schlafwandeln bis zur nächsten Versenkung! Solche Schnitzer erlaubt sich eine Inszenierung, die in ihrem Erzählcharakter durchaus Qualitäten hat..
Es ist eine Freude, dass Michael Boder die musikalische Leitung dieser zweiten „Ring“-Hälfte von Semyon Bychkov übernommen hat. Von den wunderbaren Chören der Hörner und Tuben über das differenzierte „Waldweben“ bis zu den Hammerschlägen auf den schlechten Taktteilen in den Schmiedeliedern: Präzision zwischen Bühne und Orchester verbindet sich mit einer vitalen Intensität des Musizierens. Und die Sächsische Staatskapelle fühlt sich inspiriert, „Wunderharfe“ zu sein.
Wieder am 30. März, 3. und 6. April, 4.Mai.