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Kultur: Raum für Novizen

WETTBEWERB „In Memoria di Me“

Die Türen stehen offen, aber die Fenster sind vergittert. Man ist frei zu kommen und zu gehen – aber gefangen in sich selbst. Weiß und weit ist der Zellentrakt der Klausur – doch psychisch herrscht ewige Dunkelheit. Chöre singen, Orchester raunen, gelegentlich wandelt eine ausgemergelte nackte Gestalt durchs Bild.

Eine Sinnsuche durch Rückzug ins Schweigen schildert Saverio Costanzo mit seinem zweiten Spielfilm nach „Private“. Andrea (Christo Jivkov), hübsch, intelligent, eine wie zur Entbehrung bestimmte schmale Gestalt, tritt als Novize ins Kloster auf der venezianischen Insel San Giorgio Maggiore ein. Die Prüfungszeit vor der Aufnahme als Mönch ist vor allem: subtiler Psychoterror. Schweigen, Beten und Beobachten, diese Trias bestimmt das Leben der Novizen. Unverhohlen werden sie vom Pater Superior angehalten, einander zu bespitzeln und zu denunzieren: die Fehler der anderen seien doch auch die eigenen Fehler. Und die Bloßstellung vor der ganzen Gruppe diene der fundamentalen Lektion in Demut. Schnell gerät der unsichere, unglückliche Panella (Fausto Russo Alesi) ins Visier, der das Kloster schließlich verlässt, dann auch der charismatische Zanna (Filippo Timi), der es wagt, mit dem stromlinienförmigen Andrea gleich die ganze Kirche zu kritisieren: Es fehle ihr an Liebe, es gehe nur um Macht. Beide werden ausgestoßen aus dem System des absoluten Gehorsams, das der Pater Superior etabliert. André Hennicke, mit seinem asketisch eingefallenen Gesicht und erstaunlich gutem Italienisch, gibt dieser Gestalt fast dämonische Tiefe: ein guter Hirte, besorgt um seine Schäfchen, gleichzeitig ein unbarmherziger Richter. Verständnis als Terror.

Regisseur Costanzo hegt offenbar Sympathien für diese Lebensweise: für die Entscheidung gegen oberflächliche Freiheit, für eine Autorität, die sagt, wo’s langgeht. „Es ist, als ob etwas in unserer DNA fehle“, sagt er über seine Generation, die unfähig sei, sich für einen Weg zu entscheiden und stattdessen im Fegefeuer ewiger Pubertät verharre. Doch alles, was er zeigt, spricht dagegen: die schweigsamen, blassen Mönche, oft nur dunkle Schatten in ewiger Dämmerung, während vor den Fenstern des Klosters Venedigs Schönheiten winken. Keine Spur von Erkenntnis oder Erleuchtung. Am Ende tritt Andrea aus dem Klosterdämmerreich wieder ins Licht. Der Zuschauer hätte diesen Weg gern schon längst gewählt.

Heute 9.30, 18.30 und 21 Uhr (Urania)

Christina Tilmann

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