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Alexander Ebeert (r.) spielt den geplagten Autor an der Seite von Robert Nickisch.

© Verena Eidel

"Der Morphinist" im Heimathafen Neukölln: Rausch ist eine Option

Ein Leben zwischen Cognac, Zigaretten und Schmerzmitteln. Regisseurin Inka Löwendorf adaptiert Hans Falladas Drogenreporte für die Bühne.

Wenn das Benzin ausgeht, kommt die Angst. Dann fängt sie wieder an, die wilde Odyssee durch Berlin, zum Sirenensound von Heulen und Zähneklappern, von Ost nach West, von Apotheke zu Apotheke, immer in der Hoffnung, dass irgendwo das gefälschte oder geklaute Rezept akzeptiert werden möge und der Spuk ein Ende findet. Solange der Vorrat reicht. Benzin, das ist der Kosename für Morphium, den Stoff, der nach dem griechischen Gott des Schlafes benannt ist. Nichts verschafft vergleichbare Ruhe, tieferen Seelenfrieden. Schade, dass das Zeug so teuflisch abhängig macht.

Hans Fallada, der ja ein höhen- und tiefenreiches Junkieleben geführt hat, widmet sich seiner flüssigen Geliebten in der Kurzgeschichtensammlung „Sachlicher Bericht über das Glück, ein Morphinist zu sein“: „Sie ist böse, sie quält mich unermesslich, aber sie belohnt mich über jedes Begreifen hinaus.“ Wirklich clean ist der Schriftsteller nicht geworden.

Im Studio des Heimathafens Neukölln bringt Inka Löwendorf Falladas bitteren Ampullenreport nun in eigener Fassung und Regie auf die Bühne, unter dem schlichten Titel „Der Morphinist“, angereichert mit weiteren biographischen Zeugnissen und literarischen Verweisen. „Was allen, ward auch dir gegeben, ein Erdenleben, irdisch es zu leben“, wird eingangs aus Hugo von Hofmannsthals Moritat „Der Tor und der Tod“ zitiert. Wobei die Gestaltungsmöglichkeiten im Diesseits bekanntlich vielfältig sind. Eine Option bleibt immer der Rausch.

Fallada ist von grässlichen Launen getrieben

Alexander Ebeert spielt den Hans im Unglück, auf einer abschüssigen Metallfläche, die von einem schwarzen Flittervorhang umfasst wird (Bühne: Julia von Schacky). Dunkle Verlockungen überall. Der Schriftsteller, der seine mehrhundertseitigen Werke bisweilen in wenigen Wochen herunterhämmerte, zwischen Morphium, Cognac und Zigarettenbergen, hat eine brave Frau namens Suse, die ihm den Rücken freihält, wenn er sich in seine Phantasiewelten zurückzieht. Obwohl sie anmerkt: „Hans, dein Roman gebärdet sich reichlich tyrannisch.“ Nicht nur der.

Fallada, suchtbedingt von grässlichen Launen getrieben, wird seine Familie verlassen und sich in die Liebschaft mit Ulla stürzen, die genau wie er an der Nadel hängt. Inka Löwendorf, die hier toll zwischen mehreren Rollen switcht, spielt sie als gefallenen Großstadtengel, schnoddrig und verloren gleichermaßen. Die Jagd der beiden nach dem Schuss ist der rote Faden dieser hervorragend verdichteten, soghaften Fallada-Adaption.

Keine Erklärung für die Junkiekarriere

Schwer zu sagen, wann und warum Rudolf Ditzen (wie der Autor von Weltbestsellern wie „Kleiner Mann, was nun?“ oder „Jeder stirbt für sich allein“ bürgerlich hieß) dem Morphium verfallen ist. Verabreicht bekam er es wegen „krankhafter Gemütsdepressionen“ schon, nachdem er sich mit Schulkamerad Hanns Dietrich von Necker in ein suizidales Pistolenduell gestürzt hatte, das jener nicht überleben sollte. Necker hinterließ die Notiz: „Ich sterbe ungern, ich war so glücklich.“

Löwendorfs starke Inszenierung reißt diese Episode nur an, wie die Szenen aus der Falladaschen Kindheit, in der faschistische Tanten und erdrosselte Hasen albtraumhaft vorbeiparadieren. Es ist ein Abend, der sich nicht in Erklärungen einer Junkiekarriere versucht. Sondern mit Falladascher Klarsicht auf die Nachtseiten blickt, die für manche das Leben sind.

Ein schönes, abgründiges Gedicht haben die Heimathafen-Künstler dazu ins Programmheft ihres „Morphinisten“ gesetzt, es stammt vom Schriftsteller und Humoristen Fritz von Ostini aus dem Jahr 1919 und trägt den munter-zeitgeistigen Titel „Wir schnupfen und wir spritzen“: „Und spritzt man sich ins Irrenhaus, und schnupft man sich zu Tode, Du lieber Gott, was macht das aus, in dieser Weltperiode?“

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