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Autorinnen und Autoren lesen beim Open Mike Wettbewerb im Heimathafen Neukölln.

© Mirko Lux

Open Mike Wettbewerb: Riesenräder, Kirmes und Bambi

Jenseits von Genregrenzen: Beim „27. Open Mike Wettbewerb“ präsentiert sich eine junge Generation von Autorinnen.

„Open Mike“, das ist nicht etwa ein wöchentlicher Kneipenabend, wo jeder mal vorlesen darf. Im Gegenteil, die Konkurrenz ist groß: Beim Open Mike Wettbewerb für junge Literatur werden jährlich aus über 600 Einsendungen 22 Finalisten – dieses Jahr vor allem Finalistinnen – von professionellen Lektoren ausgewählt.

Die Nominierten haben dann eine Viertelstunde Zeit, ihre Schriften vor großem Publikum zu präsentieren. Trotz unzähliger Veranstaltungen zum Mauerfalljubiläum füllt die 27. Ausgabe des Wettbewerbs den Heimathafen Neukölln das ganze Wochenende über.

Die wenigsten unter den auftretenden Autoren und Autorinnen sind alt genug, um sich persönlich an den 9. November 1989 zu erinnern. Und auch das Publikum ist überwiegend jung, weiblich.

Die 18 Autorinnen und vier Autoren sind aus dem deutschsprachigen Raum angereist, um ihre Prosa und Lyrik vorzulesen. Die späteren Gewinnerinnen der jeweils mit 2500 Euro dotierten Preise treten am Samstag alle drei hintereinander auf die Bühne.

Zunächst kommt die 1995 geborene Fiona Sironic, die für einen Auszug aus „Das ist der Sommer, in dem das Haus einstürzt“ einen der beiden „weiteren Preise“ erhielt.

Carla Hegerl gewinnt beim Open Mike

Mit Ton-, Tempo- und Intonationswechsel erzählt die in Neuss aufgewachsene Studentin in schnell getakteter Sprache von einem Kirmesbesuch, bei dem zwischen Schießbude und Riesenrad die Realität zunehmend aus den Fugen gerät: „Kennst du das? Du bist wo und dein Kopf beginnt zu flimmern. Ein Kreislaufzusammenbruch beim Denken.“

Im Anschluss liest die 1990 in Berlin geborene Carla Hegerl, die für ihre als Lyrik eingereichte Textsammlung „Bambi“ den Hauptpreis gewinnt. Dabei betont die Jury, dass die in neun „Takes“ untergegliederten Schriftstücke jegliche Genrezuweisungen sprengen.

Carla Hegerl gewann den Wettbewerb mit einem Poesiebeitrag.

© Mirko Lux

„Bambi“ könnte ebenso das sprunghafte Surfen durch das Internet beschreiben wie postapokalyptische Klimaforschung. Hegerl arbeitet mit Brüchen, greift Schlagworte aus gegenwärtigen Diskursen in englischen Sprachwendungen auf. Querverweise und „Glitches“ entstehen: „Ich öffne alle Tabs gleichzeitig und sage ,Lyrik’ dazu.“

Schließlich folgt Sina Ahlers mit „Originale“, die ihr nicht nur den zweiten „weiteren Preis“, sondern auch den taz-Publikumspreis einbringt. Der Text ist in sechs „Übersetzungen“ gegliedert, deren titelgebende Originale man nie zu hören bekommt.

Jede Übersetzung ist in „I“ bis „VII“ untergegliedert und folgt einer eigenen Logik. Und auch jede römische Zahl folgt einem wiederkehrenden Motiv. So lässt sich „Originale“ in zwei Richtungen lesen: Alle Übersetzungen hintereinander oder eine römische Zahl nach der anderen.

Das Niveau beim Open Mike ist durchweg hoch

Der diesjährige Wettbewerb prämiert vor allem Beiträge, die mit der Form spielen. Bei Sironic ist ein GIF in den ausgedruckten Text eingebaut, „Bambi“ verlangt von vornherein eine 90-Grad-Drehung, da gänzlich im Landschaftsformat abgedruckt. Weitere Beiträge zeichnen sich durch eine stilisierte Sprache oder packende Erzählkunst aus.

Das Niveau der Beiträge ist durchweg hoch. Themen wie Trauer und Depression, Heimat, Herkunft und Digitalisierung kehren wieder, aber keiner der Texte handelt sein Thema einfach unreflektiert ab.

[„27. Open Mike Wettbewerb für junge Literatur 2019 – 22 Finaltexte", Sammelband, Allitera Verlag, 14,80€.]

Die Teilnahme am Open Mike ist eine Chance für Nachwuchstalente, der Wettbewerb kann ein Sprungbrett in die Verlagswelt bedeuten. Der Open Mike hat das Zeug dazu, bereits heute die großen Literatinnen und Literaten von morgen herauszufiltern. Ihre Texte lassen sich in einem Sammelband nachlesen.

Dominique Ott-Despoix

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