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Riskant. Bogdan Volkov (Ferrando), Marianne Crebassa (Dorabella) und Andrè Schuen (Guglielmo).

© SF/Monika Rittershaus

Furiose Mozart-Oper bei den Salzburger Festspielen: Riskantes Spiel mit großen Gefühlen

Spielwut und Präzision: Regisseur Christof Loy thriumphiert mit einer verdichteten „Così fan tutte“ bei den Salzburger Festspielen.

Stand:

Ein blütenweißer Bühnenraum ist erst einmal eine große Leerstelle. Ein Kunstort, der jede ästhetische Behauptung zulässt und zugleich vergrößert, überhöht. In Salzburg kann man in diesem Festspieljahr in zwei Mozart/da-Ponte-Opern Inszenierungen in weißen Räumen erleben, die sich – geplant oder nicht – zueinander in jeder Hinsicht wie ihre jeweilige Antithese verhalten.

Während Romeo Castellucci den weißen Raum bei seiner kontrovers diskutierten „Don Giovanni“ -Inszenierung zunächst als sakralen Ort definiert, der erst umständlich entweiht und dann in einer beispiellosen Materialschlacht mit symbolträchtigen Objekten zugeramscht und mit Bewegungspersonal geflutet wird, bleibt Johannes Leiackers weiße Bühne in Christof Loys aus dem letzten Jahr übernommener „Così fan tutte“- Inszenierung einfach leer.

Atemberaubend präzise Personenführung

Zwei Türen, ein paar Treppenstufen an der Rampe, mehr braucht Loy nicht, um die rasante Geschichte der melancholisch grundierten Liebeswette zu erzählen. Nur einmal öffnet sich die weiße Wand und gibt den Blick frei auf eine riesige Platane vor dunklem Nachthimmel, ansonsten konzentriert sich dieser furiose Mozart-Abend ganz auf das riskante Spiel mit den großen und kleinen Gefühlen.

Loys Personenführung ist von atemberaubender Präzision, jede kleinste emotionale Regung, jede Laune, jeden spontanen Impuls macht er sichtbar und bleibt dabei zugleich diskret. Loy stellt nichts aus, winkt nie mit dem Regie-Zaunpfahl, sondern zeigt ein intimes Kammerspiel, amüsierend und packend in selten zu sehender Glaubwürdigkeit.

Das Spiel der sechs spürbar aufeinander eingeschworenen Protagonisten, allesamt ganz heutige Figuren, wirkt wie auf Millimeterpapier geplant und ist dennoch von entwaffnender Natürlichkeit.

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Ein Jahr nach ihrer Premiere ist diese Produktion, die wegen der vor einem Jahr geltenden Pandemie-Regeln auf pausenlose zweieinhalb Stunden gekürzt wurde, in der identischen Besetzung sowohl szenisch als auch musikalisch spürbar gereift. Wirkte im vergangenen Jahr Joana Mallwitz‘ souveränes Dirigat noch stellenweise etwas gewollt und um Originalität bemüht, fließt es in diesem Jahr gelassener, selbstverständlicher.

Mallwitz führt die in glänzendster Festspiel-Laune aufspielenden Wiener Philharmoniker mit energischem, aber niemals despotisch fuchtelndem Zugriff, manche Tempi streifen durchaus Grenzwerte, aber immer bleibt das gewitzt vom Continuo pointierte Geschehen organisch, nachgiebig und plausibel. Nach Teodor Currentzis‘ mutwillig selbstbesoffenen, jeden Fluß zerhackenden Experimenten bei „Don Giovanni“ wirkt Mallwitz‘ Mozart-Interpretation reif und hellwach.

Mustergültiger Teamgeist

Das junge, unglaublich bewegliche und spielwütige Sängerensemble singt in mustergültigem Teamgeist homogen auf allerhöchstem Niveau. Alles überstrahlt Elsa Dreisigs schmelzender Jubel-Sopran als Fiordiligi, glänzt mit geläufigen Koloraturen und seraphischen Legati. Marianne Crebassas Dorabella-Mezzo steht ihr kaum nach und hat seit letztem Jahr an Präsenz noch zugelegt. Bogdan Volkow ist ein geschmeidiger Ferrando mit perfektem Registerausgleich und auch André Schuen ist als feuriger, schlank phrasierender Guglielmo deutlich gewachsen.

Ohne Kammerkatzen-Niedlichkeit

Lea Desandre eine umwerfend clevere Despina mit dunklen Untertönen ohne jede Kammerkätzchen-Niedlichkeit und Johannes Martin Kränzle ist als Don Alfonso das gar nicht so heimliche Zentrum des Abends: Endlich einmal ist dieser Strippenzieher hier kein eindimensional zynischer Zocker, sondern ein lebenskluger, empathischer Mensch, der in der eigenen Versuchsanordnung zunehmend derangiert und mitgenommen wirkt.

Loy zeigt das in feinen Details: erst öffnet sich die korrekte Jacke, dann hängt eine Hälfte des weißen Hemds aus der Hose. Und wenn Ferrando in seiner Arie „Un‘ aura amorosa“ die große Liebe beschwört und Bogdan Volkov mit unendlich strömenden Piano-Legati die Zeit anzuhalten scheint, lacht Don Alfonso sich nicht hämisch ins Fäustchen, sondern kämpft mit den Tränen. Ein großer Moment dieses großen Abends, dem das ausverkaufte Festspielhaus mit atemloser Spannung folgt. Heller Jubel für seltenes Mozart-Glück.

Regine Müller

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