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Paketboten für die Roboter. Die katalanische Kompanie La Veronal entwirft mit „Pasionaria“ eine komische Dystopie.

© Alex Font

Berliner Tanzfestival: Roboter und Muskelprotze eröffnen den Tanz im August

Knall auf Fall: Der „Tanz im August“ 2018 präsentiert am Eröffnungswochenende tollkühne Akrobaten und tapsige Humanoiden.

Von Sandra Luzina

Nach dem Eröffnungswochenende von „Tanz im August“ zeichnet es sich schon ab: Dies wird auf alle Fälle ein Festival der Extreme. Der Auftakt selber geriet für den Veranstalter, das HAU Hebbel am Ufer, zur Zitterpartie. Denn die Tänzer des Ballet de l’Opera de Lyon kamen erst auf den allerletzten Drücker in Berlin an.

Nachdem ihre Flüge am Vorabend ausgefallen waren und dann auch noch die Flüge am Freitag morgen gestrichen wurden, hatten sie eine wahre Odyssee hinter sich. Dem Publikum, das im Haus der Berliner Festspiele zunächst mit freudiger Erwartung, dann mit wachsender Ungeduld den Reden zum 30-jährigen Jubiläum von „Tanz im August“ lauschte, wurde von dem Verkehrschaos erst ganz zum Schluss in Kenntnis gesetzt. Eine Kommunikationspanne.

Die Tänzer hätten beschlossen, dass sie unbedingt auftreten wollen und sich schon im Zug warmgemacht, berichtete dann der künstlerische Leiter Yorgos Loukos. Von diesem fast schon heroischen Einsatz der Tänzer waren die Berliner dann enorm angetan – und so wurde die französische Compagnie dann doch noch begeistert gefeiert.

Tanz im Luxusgehege

„Trois Grandes Fugues“ ist ein kühnes Experiment und eine Hommage an ein weibliches Dreigestirn. Die Star-Choreografinnen Lucinda Childs, Maguy Marin und Anne Teresa De Keersmaeker haben sich jede auf ihre Weise mit Beethovens „Großer Fuge“ aus dem Jahr 1825 auseinandergesetzt. Ihre Interpretationen fallen extrem unterschiedlich aus. Lucinda Childs, eine wichtige Vertreterin des Postmodern Dance, huldigt als einzige der Ballett-Ästhetik, auch wenn sie die 12 Tänzer barfuß tanzen lässt. Sie verwendet einfache akademische Bewegungen, um komplexe räumliche Muster zu kreieren und die kontrapunktischen Passagen der Musik zu visualisieren. Die Choreografie ist von kühler Eleganz. Zwei Tänzer treten anfangs aus einem Käfig mit Spitzenmuster und kehren zum Schluss zurück in ihr Luxusgehege. Beethovens Komposition, die aus dem Rahmen fällt, wird hier eine strikte Ordnung aufgepropft.

Anne Teresa De Keersmaeker wählte eine aufwühlendere Fassung der Großen Fuge und hat sich direkt von der musikalischen Energie anfeuern lassen. Maguy Marin lässt in ihrer sparsam-spröden Bühnenversion nur vier Tänzerinnen auftreten, doch die entfalten eine emotionale Intensität, die Beethovens Musik entspricht. Das weibliche Aufbegehren wird furios in Tanz umgesetzt: Die Frauen versuchen immer wieder, ihre unsichtbaren Fesseln aufzusprengen und verausgaben sich in einem permanenten Kampf.

Der Trend geht zur Selbstoptimierung

Wer danach zur Unterbühne herabstieg, fand sich in einer Art Fitness-Hölle wieder. Die Gruppe The Agency will in „Medusa Bionic Rise“ den Trend zur permanenten Selbstoptimierung auf die Spitze treiben. In Berlin halten sie einen Mission Call ab. Junge Performer in knappen Trikots absolvieren ein schweißtreibendes Workout, um die Zuschauer für den MBR-Körperkult anzufixen. Es geht aber auch um die digitale Erweiterung des menschlichen Körpers. Doch es gelingt The Agency nicht, die Glücksversprechen und Schrecken eines Trans-Humanismus in einer Simulation erfahrbar zu machen. Als unheimliche Replikanten gehen die Performer nicht durch.

Körperlich bis an ihre Grenzen gehen die Performer bei Elizabeth Streb. Die New Yorker Choreografin, mit ihrem Punklady-Outfit eine auffallende Erscheinung, interessiert sich nicht für Tanz im herkömmlichen Sinne. Sie will Action, Adrenalin, Nervenkitzel. Ihre aufwendige Outdoor-Performance „SEA (Singular Extreme Actions)“ wurde am Samstag zweimal im Sony Center am Potsdamer Platz gezeigt – möglich wurde dies durch Extramittel der Lottostiftung.

Mit dem Spektakel will „Tanz im August“ ein breiteres Publikum ansprechen. Streb will gar nicht die Illusion von Leichtigkeit hervorrufen wie sonst im Tanz. Sie lässt ihre muskelgepanzerten „Action Heroes“ fliegen – und betont den Moment des Fallens und Aufprallens. Eine Serie von Crash-Landings lässt die zarteren Gemüter zusammenzucken. Von einem großen Trampolin springen die Performer in die Luft wie von Katapulten, vollführen Salti oder verschrauben sich, um dann krachend auf dem Bauch oder Rücken zu landen. Auch an drei weiteren Maschinen trotzen die tollkühnen Performer der Schwerkraft. Die wagemutige Cassandra spaziert in einem großen gelben Rad und wechselt von der Vertikalen in die Horizontale, ohne abzustürzen. Das 45-minütige Spektakel zu ohrenbetäubend lauter Musik hat etwas von einer Stunt-Show.

Die gestählten Körper der Superhelden

Es geht Knall auf Fall, eine halsbrecherische Aktion jagt die nächste. Vor allem die Kinder staunen über die hammerharten Amerikaner. Doch das Spiel mit dem Risiko verliert bald seinen Reiz. Denn die Superhelden in diesem Live-Comic haben keine Mission außer ihre gestählten Körper und ihren Wagemut zur Schau zu stellen.

Die katalanische Kompanie La Veronal imaginiert in „Pasionaria“ eine Zukunft, in der die Menschen nichts mehr empfinden. Mit ruckelnden Bewegungen wuseln die Performer durch eine große Halle. Mit ihren Masken und Monster-Brillen muten sie wie ein nicht ausgereifter Humanoiden-Prototyp an. Die Aktionen werden immer absurder. Paketboten schleppen ständig neue Kartons herbei, Frauen tragen Babypuppen herum. Körperkontakt ist schwierig. Alle Interaktionen haken und klemmen, auch der Sex ist alles andere als aufregend. Choreograf Marcos Morau verbindet kinematografische Bilderwelten mit einer komischen Slapstick-Choreografie. „Pasionaria“ ist ein Plädoyer für mehr Leidenschaft.

Programminfos unter www.tanzimaugust.de

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