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Kultur: Rosen-Fraß

Witz und Wahn bei den 15. Potsdamer Tanztagen

Lächelnd stehen die vier perfekt gestylten Frauen am Rand der Bühne, die geschenkten Rosen im Arm. Doch das Glück währt nur kurz – in „The Terror of Identification“, der neusten Choreographie der Norwegerin Ina Christel Johannessen, die mit ihrer Zero Visibility Corporation bei den Potsdamer Tanztagen gastiert. Immer wieder bricht etwas anderes durch die hochglanzpolierte Fassade der Weiblichkeit, etwas Fremdes, zutiefst Bedrohliches: Die Tänzerinnen riechen nicht nur an den Rosen, sie beißen ihnen kurzerhand die Köpfe ab, einen, zwei, drei, den ganzen Mund voll. Die Darstellerinnen sind hässlich in ihrer Gier, schön in ihrer Gewalttätigkeit, witzig und unheimlich in ihrem Irrsinn. Aus ihren geöffneten Mündern zupfen sie die einzelnen Rosenblätter. Eindeutig sexuell ist dieses Bild aufgeladen, kraftvoll und berührend. Und doch bricht es sich mit enormer Wucht am leeren und starren Blick in den verstörten Gesichtern. Bis nichts mehr sicher ist.

Das spannende und tänzerisch hervorragende Spiel mit den Identitäten ist eines der Highlights beim 15. Internationalen Festival für Zeitgenössischen Tanz in Brandenburgs Hauptstadt. Beim anschließenden Publikumsgespräch wunderte sich die Choreografin allerdings, dass sie bislang nicht auch auf den (post-)feministischen Aspekt des Stücks angesprochen wurde. Die engagierte Auseinandersetzung mit der Gegenwart ist fast ein Muss beim zeitgenössischen Tanz, der seit seiner Entstehung in den Zwanzigerjahren in Deutschland weltweit Ausdruck und Begleiterscheinung von Demokratisierungsbewegungen ist.

So beschäftigte sich der Beitrag aus Burkina Faso mit der zunehmenden Individualisierung in afrikanischen Städten: Er spürt der Veränderung der gemeinschaftlichen Lebensform nach, die sich nach westlichem Vorbild wandelt und mit Materialismus, Egozentrik und Freiheit anbandelt. Die zwei Tänzer, die sich hier auf der Bühne begegnen, suchen die Nähe des anderen, gleichzeitig ihre Unabhängigkeit. In einem Tanz zwischen Narzissmus und Tradition landen sie immer wieder in Kampf und Trennung. Dazwischen erleben sie seltene Momente einer Zweisamkeit, die eine alte Welt, eine verlorene Harmonie anklingen lässt.

Neben Norwegen und Burkina Faso wurden auch Beiträge aus Frankreich, Italien, Belgien, Großbritannien, Russland, den USA gezeigt. Stilistisch reichte das von Tanz, der nach Drill und harter Schule schmeckt und doch die Verbindung mit dem HipHop wagt, über erdige Körperlichkeit in breitem Bogen zu Improvisation bis hin zur Performance: Die Britische Compagnie Rotozaza zeigte mit „Doublethink“ einen bizarren Versuch über Macht und Ohnmacht, Verantwortung und Autoritätshörigkeit sowie das Dilemma des freien Willens bei kultureller Konditionierung. Ein Versuch, bei dem einem das Lachen im Halse stecken bleibt.

Einen bunten Strauß haben die Veranstalter des Festivals hier gebunden. Darunter diverse Rosen, zum Fressen schön.

Annette Jahn

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