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500 hartgesottene Klassikfans trotzen am Samstag vor dem Konzerthaus am Gendarmenmarkt dem Regen.

© Felix Lochner

Rückkehr des Konzerthausorchesters: Klassik-Fankurve im Regen

Das Konzerthausorchester überbückt die Corona-Zeit mit einer Open-Air-Aufführung auf dem Gendarmenmarkt. Eine Schicksals-Sinfonie für hoffnungsvollere Zeiten.

Wer die „Schicksals-Sinfonie“ aufs Programm setzt, braucht sich nicht zu wundern. Am Samstag um 18 Uhr, als das Konzerthausorchester endlich einmal wieder auftreten kann, auf der Freitreppe seines Stammhauses, umsonst und draußen, nieselt es sich ein. Bleiernes Grau am Himmel, der Wind trägt den Sprühregen bis unters Schutzdach, das über den Musikerinnen und Musikern aufgebaut ist.

Die Berliner Klassikliebhaber allerdings sind nicht aus Zucker, und wenn sie Lust auf Beethoven an der freien Luft haben, dann kommen sie. Selbst wenn ihnen durch ein Fernbleiben kein finanzieller Verlust entstünde, wie in diesem Fall, weil für das Event mit dem Dirigenten Christoph Eschenbach nur eine Anmeldung übers Internet nötig war.

Ruckzuck waren die Gratis-Eintrittskarten vergriffen, kaum dass die Termine am Samstag und Sonntag bekanntgegeben worden waren. 500 Menschen haben sich am ersten Abend auf dem Gendarmenmarkt eingefunden, aufs Pflaster gesprühte Kreise stellen sicher, dass 1,5 Meter Abstand eingehalten werden. „Das ist die Fankurve des Konzerthausorchesters!“, ruft Intendant Sebastian Nordmann ins Mikrofon. Und er spricht den Anwesenden aus dem Herzen, auch wenn er sich im Verb vergreift: „Auf diesen Moment haben wir monatelang hin gefiebert.“

Hunger auf Kultur

Umrahmt von zwei prachtvoll geschmetterten Blechbläser-Fanfaren richtet neben dem Intendanten auch Kultursenator Klaus Lederer das Wort ans Publikum. Als „surreal“ empfindet er den Anblickt der verstreuten Häupter, zugleich aber auch als „großartig“. Weil sich hier der Kulturhunger einer Stadt manifestiert. Lederer allerdings will und kann auch am Samstag keinerlei Hoffnung darauf machen, dass sich der Betrieb auf den Bühnen wieder normalisiert, bevor ein Impfstoff flächendeckend zur Verfügung steht.

Angesichts solcher Zukunftsaussichten und unter derart miesen Wetterbedingungen steigt der Symbolwert dieses doppelten Auftritts schier ins Unermessliche. Allein schon, dass 46 Musikerinnen und Musiker des Konzerthausorchesters live zu erleben sind, dass ihr 80 Jahre alter Chefdirigent Christoph Eschenbach seine Pariser Wohnung verlassen hat, um nach Berlin zu reisen und Präsenz zu zeigen, löst langen, dankbaren Applaus aus.

Eine Parabel auf die Corona-Zeit

Künstlerisch läuft das Konzert quasi außer Konkurrenz. Denn nicht nur für die Zuhörer, auch für die Orchestermitglieder gilt: Diesen Beethoven stehen sie durch. Die Angst um ihre extrem feuchtigkeitsempfindlichen Instrumente schwingt hörbar mit, eine ausschließliche Fokussierung auf die musikalischen Inhalte wie in der Sicherheit des Saales kann da kaum entstehen, geschweige denn eine Interpretation, die in bis in die Tiefenschichten der Partitur vordringt.

Als eine Parabel auf die Corona-Zeit will Christoph Eschenbach die 5. Sinfonie gelesen wissen: Der erste Satz erzählt für den Dirigenten von Verzweiflung, der zweite wird zur Rückschau auf glücklichere Tage, in den letzten beiden richtet sich der Blick dann hoffnungsfroh nach vorn. Am Besten gelingen am Samstag die zarten Dialoge der Holzbläser im Andante, der knackige Beginn des 3. Satzes – und die Jubelmomente im C-Dur-Finale.

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