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Lahav Shani wurde 1989 in Tel Aviv geboren.

© Tobias Hase

Rundfunk-Sinfonieorchester Berlin: Feuer und Eis

In Bestform: Der israelische Dirigent Lahav Shani serviert mit dem Rundfunk-Sinfonieorchester Berlin im Konzerthaus am Gendarmenmarkt drei populäre Schmachtfetzen der Moderne.

Von Eleonore Büning

Die Pfingstmusik war heuer eine Musik ohne Schwerkraft. Frei schwebt sie im Raum, wie eine Wolke aus Feuer und Eis. Anfangs statisch, dann verflüssigt und verwandelt, schwimmt sie auf einen Abgrund zu und verschwindet schließlich als Hauch, im Nichts. Hat weder Melodie, noch Rhythmus, noch Grundbass. Ist nicht von dieser Welt.

„Atmosphères“ von György Ligeti, dessen Geburtstag sich am Pfingstsonntag zum hundertsten Male jährte, wurde in den letzten Wochen rund um den Globus gespielt von fast allen großen Orchestern. Auch das Rundfunk Sinfonie Orchester Berlin eröffnete damit sein jüngstes Abokonzert, unter Leitung des israelischen Stardirigenten Lahav Shani.

Am liebsten gleich noch einmal

Shani schlägt exakt durch. Leuchtend transparent, zugleich schimmernd opak blüht diese inzwischen über sechzig Jahre alte Nicht-Musik aus 87 mikropolyhon ineinander verschlungenen Einzelstimmen auf. Die Wirkung ist heute immer noch, wie am ersten Tag, ungeheuer. Wenn „Atmosphère“ verlischt, in einer neun Sekunden langen Pause, wünscht man sich die sofortige Wiederholung.

So erging es schon 1961 dem Uraufführungspublikum in Donaueschingen. So ging es uns jetzt wieder. Vielleicht hat das erstaunlich junge Publikum im großen Saal des Konzerthauses den Kultfilm „Space Odyssey“, in den Stanley Kubrick diese wie auch andere Musiken Ligetis integriert hatte, nicht mehr auf dem Radar. Aber von der Musik ist es wie hypnotisiert. 

Erstaunlich junges Publikum

Als der schwedische Klarinettist Martin Fröst auftaucht, rastet es aus. Fröst hat die Aura eines Popstars, er reichert seine Performance mit bizarren Sprüngen an, als wäre er ein semmelblonder Doppelgänger von E. T. A. Hoffmanns literarischer Figur des Kapellmeisters Kreisler. Doch er weiß auch um den Nuancenzauber, den Aaron Coplands Klarinettenkonzert braucht, um zu wirken.

Das nur von Streichern, Harfe und Klavier akkompagnierte Virtuosenstück ist volkstümlich und boulevardesk, synkopen- und zitatenreich, jazzig, freilich mit Broadwayeleganz übermalt. Als Zugabe serviert Fröst, akkompagniert von Shani samt Orchester, den orgiastischen „Klezmertanz 2“, komponiert von seinem Bruder, Goran Fröst. Stehende Ovationen.

Und das RSB? Es spielt ja immer zuverlässig gut. Doch an diesem Abend, der drei so unterschiedliche populäre „Schmachtfetzen“ aus der Musik des zwanzigsten Jahrhundert zusammenspannt, steigert es sich in atemraubende Bestform: Streicher wie Samt und Seide sind zu hören in Sergej Prokofjefs „Romeo und Julia“-Suite, jede Stimmgruppe für sich ein Farbengedicht.

Jeder einzelne Bläsersolist, von der Tuba bis zur Piccoloflöte, wird zum Poet und Skulpteur bei seinen solistischen Auftritten, was auch für die Schlagwerker, Harfe und Celesta gilt. Und so blättert sich diese zur tableauhaften Bildergeschichte umgeformte Bühnenmusik über Liebe und Tod Seite für Seite auf wie ein haptisch-bunter Comic, für die Ohren.

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