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Kultur: Schatten der Stille

Der Pianist David Fray begeistert im Konzerthaus.

Alle Etiketten kleben, auch wenn oft nichts als Unsinn darauf zu lesen ist. Im Fall von David Fray funktioniert das nur wenig anders als bei saftig-grünen Verpackungen für Milch, deren Erzeugerinnen nie eine Wiese sehen werden. Da der heute 30 Jahre alte Franzose seine Karriere mit Bach begann und in seiner Introvertiertheit nicht dem klassischen Virtuosenhabitus entsprach, wurde ihm fortan ein Vergleich mit Glenn Gould aufgenötigt. Daran könnte man verzweifeln, oder sich dem Diktum beugen und sein Leben als gut bezahlter Stimmenimitator zubringen. Es spricht für David Frays künstlerische Integrität, dass er beidem widersteht. Mehr noch, der so fragil wirkende Pianist weiß seine Freiräume zu schützen, wie es einer tut, der auf dem Weg ist.

Bei seinem Klavierabend im Konzerthaus umgibt sich Fray mit Mozart und Beethoven – und entfernt sich bei beiden von knopfdruckartigen Erwartungen, im Stillen, ohne jede Ausgestelltheit. Aus seinem Mozartspiel ist merklich Kühle gewichen, Fray traut der eigenen Tongebung stärker zu, nicht in eine kugelige Süßlichkeit abzurutschen. Innerlichkeit, danach strebt sein Tasten. Dass er der ausgelassenen Sonate D-Dur KV 311 dabei mehr Schatten anfügt, als unbedingt nötig, mag nur unerschütterliche Frohnaturen irritieren. Frays Leidenschaft für eine sprechende Stille, für ein lauschendes Voranschreiten, findet in Beethovens D-Dur-Sonate op. 28 reichen Grund. Nichts wirkt hier vorgefertigt, jede Wiederholung scheint in neues Licht getaucht, die Gewichtungen nicht in Marmor gehauen, sondern ungewiss, bestenfalls fraglich.

Nach der Pause gewinnt Fray dem tragischen Ton von Mozarts c-Moll-Fantasie KV 475 immer zartere Wendungen ab, lässt ihren Rückgriff auf die „Alte Musik“ anklingen, wie improvisiert, doch nur genau gelesen. Einzig dem Furor der Form in Beethovens „Waldstein“-Sonate bleibt Fray etwas an Durchschlagskraft schuldig. Doch wie fein und unprätentiös er ihre Motorik in Gang setzt, bewegt weit mehr als Donnern aus der Dose. Es perlt Zugaben, natürlich Bach, sehr fein bewegt, und Schumanns „Kinderszenen“, „leichte Stücke für das Pianoforte“, reiche Kost für die Fantasie. Selbst nach vier Encores fällt es schwer, das Konzerthaus zu verlassen. Im Foyer staut sich ein enthusiastisches Publikum zwischen CD-Verkauf und Signiertisch. Manch einer sucht auch nur den besten Ausblick auf David Fray, der seinen Berliner Erfolg im Gedränge ergeben hinnimmt. Ulrich Amling

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