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Kultur: Schlagabtausch

Hans Christoph Buch liest Deutschlands Moralaposteln die Leviten Es waren die üblichen Verdächtigen, die sich Anfang Mai in der „Frankfurter Rundschau“ zu Wort meldeten, um den Aufruf amerikanischer Intellektueller „Gerechter Krieg gegen den Terror" mit einem Gegenappell zu beantworten. Von Franz Alt über Walter Jens und Horst-Eberhard Richter bis zu Dorothee Sölle und Günter Wallraff waren alle selbsternannten Moralapostel zur Stelle, ohne deren n keine Unterschriftenliste über den Ticker geht.

Hans Christoph Buch liest Deutschlands Moralaposteln die Leviten

Es waren die üblichen Verdächtigen, die sich Anfang Mai in der „Frankfurter Rundschau“ zu Wort meldeten, um den Aufruf amerikanischer Intellektueller „Gerechter Krieg gegen den Terror" mit einem Gegenappell zu beantworten. Von Franz Alt über Walter Jens und Horst-Eberhard Richter bis zu Dorothee Sölle und Günter Wallraff waren alle selbsternannten Moralapostel zur Stelle, ohne deren n keine Unterschriftenliste über den Ticker geht. Die Argumente, mit denen sie Samuel Huntington und Francis Fukuyama zu widerlegen versuchten, waren vorhersehbar: Vom schieren Antiamerikanismus über eine wohlfeile Kritik an der Globalisierung, die uns angeblich unserer kulturellen Identität beraubt, bis zu einem vagen Pazifismus, der Kriege zu ächten glaubt, indem er sie ignoriert, zeichnet sich dieser Diskurs durch mangelnde Trennschärfe und intellektuelle Dürftigkeit aus – Wunschdenken ist ein anderes Wort dafür. Da das Böse, aufgrund einer eingebauten Denkhemmung, stets in Washington geortet wird, kamen die Selbstmordattentäter vom 11.September relativ ungeschoren davon, und die Opfer des Terrors wurden zu Tätern erklärt: Die wirklich gefährlichen Fundamentalisten, so die Verfasser des Briefs, säßen nicht in den Trainingslagern von Al Qaida, sondern im Weißen Haus und im Pentagon, denn: „Die Anwesenheit amerikanischer Soldaten in Reichweite islamischer Heiligtümer in Saudi-Arabien, die von vielen Moslems als Angriff auf die eigene Kultur und das Selbstwertgefühl empfunden wird, symbolisiert die als bedrohlich empfundene Machtungleichheit.“ Genauso hatte Osama Bin Laden argumentiert, als er in die afghanischen Berge ging.

Der Vorschlag der Deutschen, den globalen Terror mit polizeilichen Mitteln zu bekämpfen, ist bestenfalls blauäugig, und es bleibt das Geheimnis der Verfasser, wieso sie den Krieg gegen Hitler gutheißen, die Militäraktion gegen Bin Laden aber moralisch verwerflich finden – Opfer war in beiden Fällen die Zivilbevölkerung.

In ihrem jüngsten Antwortbrief, abgedruckt im Tagesspiegel vom 9. August, legen die amerikanischen Intellektuellen den Finger auf die Wunde und arbeiten die auf Halbwahrheiten basierende, begriffliche Unschärfe ihrer deutschen Kontrahenten heraus. Insbesondere die Gleichsetzung des Terrorangriffs auf New York mit dem dadurch provozierten Gegenschlag erregt ihren Zorn, weil sie Ursache und Wirkung verkehrt. Die US-Intellektuellen haben die Logik auf ihrer Seite. Aber daraus folgt nicht, dass jetzt ein Krieg gegen den Irak unvermeidlich und Europa zu uneingeschränkter Solidarität verpflichtet wäre. Auch wer keine Sympathie für Saddam Hussein hegt – sein Sturz bedeutete eine Erlösung für das irakische Volk – muss Auskunft darüber geben, was für ein Regime an seine Stelle treten und mit welchen Mitteln das anvisierte Ziel erreicht werden soll: Eine überzeugende Antwort auf diese Frage steht nach wie vor aus.

Bleibt der Verdacht, dass Professoren, die in Kohorten gegeneinander antreten – 60 Amerikaner gegen 120 Deutsche – nicht mehr Geist produzieren als intellektuelle Einzelkämpfer. So besehen, wäre es besser gewesen, Günter Grass hätte die politische Abstinenz von John Updike kritisiert, wie er dies 1986 auf der New Yorker PEN-Konferenz tat, und Mario Vargas Llosa, Susan Sontag und Norman Mailer hätten, wie damals, zu der Kontroverse Stellung bezogen. Dieser deutsch-amerikanische Literaturstreit war lehrreicher als ein ritualisierter Schlagabtausch, der wie ein diplomatischer Notenwechsel funktioniert, bei dem die Parteien ihre Claims abstecken: eine bürokratische Prozedur, die viel Staub aufwirbelt und nach dem Muff akademischer Talare riecht.

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