Kultur: Second Life
Von Ken Babstock
Stand:
I left the north. I traveled south.
I got confused. I killed a horse.
I can’t help the way I feel.
The Smiths
Das also ist es nun. Die Schöneren der Party
sokratisch thronend, bewaffnet mit gekühltem Grau
Burgunder, lösen den Verkehrsstau
von Toronto auf, wechseln Komplimente, schütten sich vor Lachen
aus. Du stehst am Aquarium
und fraternisierst mit der Anemone. Idiot. Ihr alle
saht, wie vierzig Leute durch die Servicetür trampelten,
doch erst gestern vor einer Woche prägtest
du dir den verzwickten Krawattenknoten ein und
musst immer noch deine Besonderheiten spüren
wie Braille ins Plastik der Kreditkarte gestanzt.
Vielleicht sind die ledernen Budapester zeitlos, wie
dein Innenleben. Etwas gemeinsam
mit dem demographischen Kuchenstück, das in der Mittel-
Klasse erblaut. Es kehrt auf die Hauptbühne zurück,
krächzt eine Choralnummer übers Nettsein,
bis zu einem gewissen Grad. An der Garderobe überreicht dir
ein cleverer Marxist deine Schlüssel, Clomidtabletten, Sportjackett
und glücklich verrufene Abstammung, so ist das Gehen
wie das Kommen, mit Temperatur
Anpassungen. Eislichter der nicht erbauten Stadt
zu sehen durchs Kabelnetz und verhängtes Gerüst.
Man kann Sachen kaufen. Spekulieren – obwohl das Wort
erklärungsbedürftig ist. Aber in einem Schwulenclub vier
Türen weiter südlich schwingt ein junger Mann den Shaker
und wird es über Stunden weiter tun, im Stehen und herrlich
muskulös und umbuhlt von drei anderen, er nervt
mit der Frage, wo er danach hin soll. Hier also ist
der „Avatar“ eines verkrumpelten RL-Baumwollbodys, gebeugt,
willentlich entkleidet durch zerebrale
Lähmung, schreibt auf dem Touchscreen im Keller seiner Familie,
erzählt der Live-Linse, die er liebt, „bin jemand anderes als ich.
Jemand, der tanzen und Jungs treffen und sich glücklich fühlen
kann.“ Elster aus geschliffenem Glas über gehobeltem Nussteller,
schweres Brokat, Staatswimpel.
Galaga ist jetzt Nostalgiaga für ein einfacher reales, laterales
Gleiten, einfacher Druckknopf. Das warst nicht du hier drin,
sondern deine Spiegelung, wie sie auf der Zunge kaut
im Plexiglas. Geld ist das virtuellere Virtuelle –
ich rede nicht so im Real Life.
Ken Babstock, 1970 in Neufundland geboren und in Toronto zu Hause, lebt derzeit als DAAD-Stipendiat in Berlin. Sein von Rainer G. Schmidt übersetztes Gedicht findet sich in seinem jüngsten Gedichtband „Methodist Hatchet“ (House of Anansi Press). Babstock liest im Rahmen der Poetry Night am Donnerstag, den 8.9., um 20 Uhr im Haus der Berliner Festspiele.
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