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Das Streichquartett der Staatskapelle Berlin setzt bis Juni 2018 das Schubert-Jahr fort.

© staatskapelle-berlin.de

Schubert-Zyklus im Pierre Boulez Saal: Seelenöffner

Aus Anlass von Schuberts 220. Geburtstag werden im Pierre Boulez Saal Lieder und Kammermusik des Wiener Komponisten präsentiert.

Schon bevor sich abzeichnete, dass der Pierre Boulez Saal an der Französischen Straße als eines der wenigen Bauprojekte in Berlin pünktlich fertig werden, im Kostenplan bleiben und außerordentlich gut gelingen würde, kam Initiator Daniel Barenboim auf die Idee, die obendrein außergewöhnlich gute Akustik auch dafür zu nutzen, um einem Komponisten in den Mittelpunkt des Programms zu stellen, dessen Kammermusik und vor allem dessen Lieder bis heute als besonders intim gelten dürfen. Ideal für einen Saal dieser Größe sei Franz Schubert – und außerdem ist der Wiener erklärtermaßen ein Lieblingskomponist Barenboims.

Ab Dezember werden an vier Konzertabenden Quartette Schuberts zu hören sein

Glücklicherweise fand sich auch ein kleines Jubiläum: 220 Jahre wäre Schubert in diesem Januar alt geworden, und nun zieht sich über vier Spielzeiten ein ambitioniertes Projekt: Inspiriert von Dietrich Fischer-Dieskaus Kölner Zyklus sollen alle rund 600 Lieder des Meisters im Saaloval aufgeführt werden, aufgeteilt auf 40 Konzerte. Die Staatskapelle besorgte bereits die Sinfonien, die Klaviersonaten gesellten sich hinzu. Miah Persson kümmert sich nun im November gemeinsam mit Pianist Malcolm Martineau um Schuberts Vertonungen von Natur- und Liebeslyrik, ab Dezember setzt das Streichquartett der Staatskapelle Berlin in vier Konzerten bis Juni 2018 den Zyklus mit sämtlichen Streichquartetten fort.

Elisabeth Kulman fokussiert sich, ebenfalls im Dezember, auf die ungezählten Schubert-Pretiosen über Abschied, Einsamkeit und Tod. Den Höhepunkt dieser Spielzeit setzt indes Thomas Hampson mit seinem kongenialen Begleiter Wolfram Rieger im Januar mit einem Schubertwochenende, das nicht nur Liederabende, sondern auch einen Workshop mit Studenten und deren Beiträge zum kleinen Jubiläum bereithält.

Nach Markus Werbas Auftritt im Februar mit Klassiker-Vertonungen dürften Matthias Goerne und Leif Ove Andsnes schließlich im März mit der „Winterreise“ den Straßenfegereffekt bemühen. Auf ihn folgen im Monatsrhythmus Julia Kleiter, Julian Prégardien, Mauro Peter – mit dem unerreichten Helmut Deutsch am Klavier – und im Juni schließlich Marlis Petersen.

Seine Lieder sind ein eigenes musikalisches Universum

Doch was ist der Sinn hinter dieser Art von enzyklopädischen Aufführungen? Vermutlich, um den Komponisten in seiner Gesamtheit kennenzulernen, seine Eigenständigkeit und seinen großen Pioniergeist bei der Weiterentwicklung des spätklassischen Stils zu zeigen, die ihm selber vermutlich gar nicht bewusst waren. Schuberts Lieder bildeten andererseits den Ausgangspunkt für seinen Ruhm, der ihm in anderen Genres noch lange nach seinem Tod versagt blieb. Nicht von ungefähr stellte Daniel Barenboim in der Eröffnungsspielzeit auch die oftmals unterschätzten frühen Sinfonien in den Mittelpunkt des Interesses.

Es ist kein Zufall, dass gerade die psychologische Tiefe in der Musik Schuberts erst im 20. Jahrhundert wertgeschätzt wurde – weil sie die traumatischen Ereignisse der Zeit vorauszuahnen schien. Die Intimität des Boulez Saales kann bei sensiblen Interpreten und Liedliebhabern dafür sorgen, dass Schuberts Miniaturen in nur wenigen Takten die Sanftheit seiner Zeit zum Ereignis werden lassen, all jene symbolbeladene Naturlyrik, das bis auf den Grund des Gemüts reichende Ausleuchten von Gefühl und Gedanke. Franz Schuberts Lieder sind ein eigenes musikalisches Universum; gerade in ihrer minimalistischen Form transportieren sie noch die kleinste Empfindung und sind getragen von tiefer Sehnsucht nach Ausgleich und innerem Frieden in der Nachwelt des Wiener Kongresses.

Die Größe Franz Schuberts besteht ja vor allem darin, dass sich in vielen Momenten der Innerlichkeit eine ganze Welt erschließt. Der intime Augenblick nimmt ganz andere Dimensionen an. Im Pierre Boulez Saal kann man mit diesem sorgfältig zusammengestellten Programm nicht nur den Erneuerer der Musikgeschichte erleben, sondern auch einen ganz besonderen Kenner der Seele und jener Kräfte, die sie zu öffnen imstande sind.

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