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Chris Lowe und Neil Tennant sind seit 1981 die Pet Shop Boys.

© Promo

Neues Album der Pet Shop Boys: Sehnsucht nach dem Club

Die Pet Shop Boys erinnern sich auf ihrem neuen Album „Super“ mit Stampf-Songs und überdrehten Sounds an die neunziger Jahre.

Was für eine visionäre Platte! Nörgelige Popmusik trifft auf messerscharfe Elektronik. Beat-Kaskaden, Synthiestreicher, Hooligandonner und Testosterontheater. Das alles fand sich auf „Please“, dem Debütalbum der Pet Shop Boys. Es erschien im März 1986 und war die Ouvertüre eines beeindruckenden Werkkanons.

30 Jahre später bringt das britische Pop-Duo nun seine 13. Studioplatte heraus. Weniger Visionen, mehr Zeitgeist, alles „Super“. Das verspricht der Titel und bringt die vorwärtsstrebende Euphorie auf den Punkt, die sich durch die zwölf Songs zieht. Oder lieber: Tracks. Denn es sind Stücke, die sich Neil Tennant und Chris Lowe haben einfallen lassen. Es ist sehr tanzbares Kasperletheater geworden, das Produzent Stuart Price zwei Männern um die 60 auf den Leib schneidert, die sich natürlich nie dazu bewegen würden. Keine Choreografien, null Sexappeal, das war schon immer das Credo der Pet Shop Boys. Jetzt hilft es, die mögliche Arthritis zu verstecken.

„Super“ ist ein ständiger Paukenschlag: Das Album beginnt laut und hört laut auf, es gibt viele Ideenskizzen darin, hier ein bisschen Raggaton („Twentysomething“), da einen Happen EDM-Donner („Inner Sanctum“), und darüber schwebt Tennants entrückte Stimme. Ein übergeordnetes Konzept wie zuletzt bei „Yes“ (2009) oder „Electric“ (2013) sucht man vergeblich.

In einem Remix des Pet Shop Boys- Hits „Can You Forgive Her?“ reduzierte der Produzent Rollo 1993 den komplexen Text um Lug, Betrug und Schummelsex auf die Zeile: „Dance-dance-dance to disco“. Das entspricht ziemlich genau dem Bewegungsmuster der aktuellen Platte – und auch dem lyrischen Niveau. Tennant touchiert Situationen und Stimmungen, die Disco „brennt nieder“, junge Männer zücken ihre Smartphones, das war’s. Er malt diesmal keine opulenten Bilder, in denen Protagonisten durch römische Mondnächte schweifen oder über Marx sinnieren. Auf „Super“ kommt alles eine Nummer kleiner und knackiger daher: superplakativ eben.

Keine Knallermomente? Oh doch, für die erste Single „The Pop Kids“ haben Tennant und Lowe noch einmal ihre Geschichtenmaschine angeworfen. Sie erzählen von zwei Teenagern, die in den neunziger Jahren aus der Provinz nach London gezogen sind, natürlich der Lieder aus dem Radio wegen, der sehnsuchtsvollen und lebensbejahenden Popmusik wegen, und weil es vielen Menschen genauso ergangen ist, vereint dieses Lied Fans aus Yorkshire, Upstate New York und Ostwestfalen, die eben 1995 nichts anderes auf der Tanzfläche dachten als: „I am never going home“.

Entdeckungen und Enttäuschungen halten sich die Waage

Das ist großes Poptheater, ein Bekenntnis zum Leben, zur Musik, zur eigenen Geschichte, deren Weiter-Weiter-Drang wie die Hits von Mel & Kim schon etwas zurückliegt. Genau wie die Kassenschlagerzeit der Pet Shop Boys. Wer kennt noch die großartige Singles „Vocal“ oder „Thursday“ vom letzten Album? Kommerziell kein Vergleich zu früheren Erfolgen, zur imperialen Phase, als ein Hit auf den anderen folgte, „It’s A Sin“, „What Have I Done To Deserve this?“, „Always On My Mind“ – bang, bang, bang.

Je weniger Erfolg, desto größer ist offenbar die Bewunderung durch die Kritik. Auch für „Super“ gab es schon einige sehr freundliche Besprechungen, etwa vom britischen „Q Magazine“ oder „Spiegel Online“. Es ist exakt die Reaktion, die das Duo in einem seiner besten unbekannten Lieder „Friendly Fire“ einst beschrieben hat: „Now my status is ill-defined/ As an icon I’m inclined/ To be coming under friendly fire.“ Denn wer über drei Jahrzehnte hochwertige und handwerklich ausgereifte Musik macht, dem traut man keinen Fehltritt mehr zu. Und es ist ja auch keiner geworden, Entdeckungen und Enttäuschungen halten sich die Waage. Nur der neugierige Blick in die Zukunft, der „Please“ einst prägte, ist auf „Super“ nicht mehr zu finden.

Zum ersten Mal rennen die Pet Shop Boys anderen hinterher

Diese Platte klingt oft nach den neunziger Jahren, als Techno noch in den Kinderschuhen steckte und manche Sounds hohl schepperten wie in dem lustigen Schunkeltitel „Pazzo!“. Oder die Boys drehen richtig auf mit hochgepitchten Vocals („Happiness“) und dreckigem Bamm-bamm-bamm („Burn“).

Diese ganzen Stampfer, diese Klick-Klack-Rhythmen und Over-the-top- Beats – irgendwie beschleicht einen das Gefühl, die beiden Londoner wollen an die Jungs und Mädchen ran. An die Mittzwanziger, die endlos in Clubs ihr Wochenende vertanzen. An die Stroboskop-Raver, die ihr Geld für billige Drogen und teuren Wodka verplempern. Deshalb wirkt die Platte aus Fanperspektive auch etwas verzweifelt. Zum ersten Mal rennen die Pet Shop Boys anderen hinterher, den DJs im Berghain, den Charttoppern der EDM-Szene, und keiner aus diesen Lagern wird wohl einen der Tracks jemals spielen. Das ist traurig, sogar sehr traurig.

„Super“ ist die Tanzplatte für diejenigen, die nicht viel tanzen gehen. Oder nicht mehr die Energie dafür haben. Die Pop Kids von damals sitzen jetzt in vertäfelten Büros, trinken Chardonnay zum Abendessen und fälschen ihr Alter auf Grinder. Aber während sie das tun, fühlen sie sich ganz: super!

 Pet Shop Boys: „Super“ erscheint bei x2/Kobalt Label Services

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