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Gänseblümchen-Wiese.

© IMAGO/Russian Look/Maksim Konstantinov

Serie „Mein Sommer in Berlin“: Im Meer der Gänseblümchen

In Zeiten von Klimawandel und KI-Sorgen setzt sich Drehbuchautorin Kristin Derfler im Sommer auf die Wiese und lässt die Gedanken abschweifen.

Ein Kommentar von Kristin Derfler

Stand:

„Mein Sommer in Berlin“ befindet sich zwanzig Kilometer jenseits der Stadtgrenze, genauer gesagt in Falkensee. Seit geraumer Zeit bewohnen wir diesen Außenposten im Speckgürtel. Eine grüne Oase für die einen, die pure Einöde für die anderen. Beides trifft zu, je nach Stimmungslage.

Doch der Wald vor meinem Fenster hat sich verändert. Etwas, das ich mit jedem vergehenden Sommertag beobachte, während ich den wackligen Holztisch aufbaue, ein Stück Korken unter das zu kurze Bein schiebe, um darauf meinen Laptop zu platzieren. Ein Ritual, das ich umso mehr genieße, seitdem die erwachsenen Kinder ihr eigenes Leben führen, um mitten im schönsten Hochsommer – warum eigentlich? – auf Reisen zu gehen.

Ich darf hierbleiben. Und mein Blick wandert nicht zum ungeduldig blinkenden Cursor direkt vor meiner Nase, sondern hinüber zu der gewaltigen Eiche und ihren gelben Blättern, die schon im Juni verwelken und als Laub-Graffiti durch die Luft segeln.

Auch die unreifen Früchte des Mirabellenbaums fallen vertrocknet vom Stamm. Der versandete Lehmboden ist staubtrocken, bis in die untersten Schichten, trotz des sommerlichen Platzregens. Ich habe es aufgegeben mit der Brunnenbewässerung und hoffe, die Natur besitzt die Kraft, die Schäden des voranschreitenden Klimawandels selbst zu heilen. „Wer kein Wasser mehr hat, muss tiefere Wurzeln schlagen oder stirbt.“ Dieses schlichte Prinzip hat mir ein alteingesessener Nachbar erläutert und irgendwie macht das Sinn, nach unten zu wachsen, um zu überleben.

Jetzt im Sommer sitze ich draußen auf einem Meer von Gänseblümchen und träume mich schreibend in andere Welten. Und frage mich, könnte „künstliche Intelligenz“ wie ChatGPT jemals dazu in der Lage sein? Gewiss, unsere neue Konkurrenz, die jetzt in aller Munde ist und viele Kreative erschreckt, hat einen entscheiden Vorteil: ChatGPT schweift nicht ab, sondern reproduziert das, was ihr bereits einprogrammiert wurde.

Sie kann auch keine neuen Wurzeln schlagen, um zu tiefer liegenden Wasserschichten und originären Schöpfungen vorzudringen. Denn das würde voraussetzen, dass sie lebt. Und das tut sie nicht. Ich werde jetzt erstmal die grünen Mirabellen aufsammeln und daraus unreife Marmelade kochen.

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