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Keiner bleibt ohne Schramme. Curd Jürgens 1959 in „Fähre nach Hongkong“.

© imago/United Archives

100. Geburtstag von Curd Jürgens: Sie nannten ihn Kleiderschrank

Grübler, Frauenheld, Spätstarter: Zum 100. Geburtstag des Schauspielers und Sängers Curd Jürgens ist eine lesenswerte Biografie erschienen.

Vor ein paar Wochen kursierte ein Video in den sozialen Netzwerken, gut zwei Minuten lang und schwarz-weiß. Darin macht sich Curd Jürgens als „Des Teufels General“ über die Nationalsozialisten lustig, seine Suada lässt sich auch als Attacke auf den neuen Rassismus von Pegida und der AfD deuten.

„Ach da sind Sie wohl nich janz arisch, ein Mensch zweiter Ordnung?“, fragt er einen jungen Offizier mit jüdischer Urgroßmutter. „Schrecklich. Diese alten verpanschten rheinischen Familien! Stell’n Sie sich doch bloß mal ihre womögliche Ahnenreihe vor.“ Die Stimme des Generals dröhnt, um seinen Hals baumelt das Ritterkreuz, er ist offenbar angetrunken.

Leicht schwankend zählt er Vorfahren auf. Ein römischer Feldherr, ein jüdischer Gewürzhändler, dann kam ein griechischer Arzt dazu, ein keltischer Legionär, ein schwedischer Reiter, ein böhmischer Musikant. Am Ende legt er dem Leutnant seine Hände auf die Schultern: „Das war’n die Besten, mein Lieber. Vom Rhein sein, das heißt: vom Abendland. Das is Rasse. Sei’n Sie stolz drauf.“ Ein Loblied auf die fröhliche Vereinigung.

"Des Teufels General" brachte die Wende in seiner Karriere

In der Szene verschmelzen die Figur des aufrechten Luftwaffengenerals und das Image seines Darstellers miteinander. So kraftstrotzend, lebenslustig und trinkfest war auch der private Curd Jürgens, und den Mund verbieten ließ er sich schon gar nicht. So kannten ihn die Deutschen jedenfalls aus den Illustrierten und Talkshows. „Es ist kaum möglich, das Bild, das er in der Öffentlichkeit von sich entwarf, oder das von ihm entworfen wurde, stets trennscharf von seinem performing image als Schauspieler zu unterscheiden“, schreibt Heike Specht in ihrer gerade erschienenen Biografie „General und Gentleman“. „Seine Filmrollen reichten hinein in sein öffentliches, zum Teil auch in sein privates Leben.“

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Mit Curd Jürgens, der vor hundert Jahren, am 13. Dezember 1915, im Münchner Vorort Solln geboren wurde, taucht ein neuer Typus im deutschen Film auf. Er verkörpert nicht wie Heinz Rühmann den „kleinen Mann“ und Mitmacher, auch nicht wie Hans Söhnker und Willy Fritsch einen großväterlichen Kümmerer oder wie Heinz Erhardt den gemütlichen Anarchisten. Jürgens ist ein Genießer, als Angehöriger des internationalen Jetsets macht er die Welt zu seinem Zuhause. Fünf Mal wird er heiraten, die Affären sind ungezählt, im Herbst seines Leben singt er: „Sechzig Jahre – und kein bisschen weise.“

In Venedig gewann Curd Jürgens den Darstellerpreis

„Des Teufels General“, von Helmut Käutner nach dem Drama von Carl Zuckmayer inszeniert, markiert eine Wende in der Karriere des Schauspielers. Hans Albers hatte sich in Briefen an den Regisseur vergeblich um die Hauptrolle beworben. Die virilen Helden und Hoppla-jetzt-komm-ich-Artisten, die bis dahin Albers gespielt hatte, übernahm nun Curd Jürgens. Was durchaus umstritten war. Die „Zeit“ protestierte gegen die Vergabe der Generals-Rolle an den „durch Skandale und Kraftprotzrollen über Gebühr populär gewordenen Schauspieler“.

Für „Des Teufels General“ gewann Jürgens bei den Filmfestspielen von Venedig den Darstellerpreis. Der Film öffnete ihm die Tür nach Hollywood, in Frankreich stieg er zum drittbeliebtesten Darsteller auf und drehte mit Brigitte Bardot das Liebesdrama „ ... und immer lockt das Weib“. Bardot gab ihm den Spitznamen „der normannische Kleiderschrank“, das war wohl liebevoll gemeint.

„Des Teufels General“ verklärt den Göring-Freund Ernst Udet zum Widerstandskämpfer, das Hollywood-Biopic „Wernher von Braun – Ich greife nach den Sternen“ mit Jürgens in der Titelrolle macht aus einem SS-Sturmbannführer und Sklavenarbeiter-Schinder eine Lichtgestalt des Fortschritts. Derlei Geschichtsklitterung ist zeittypisch.

Die Karriere von Curd Jürgens wirkt seltsam verquer, sie scheint umgekehrt zu verlaufen. Bis zum internationalen Durchbruch Mitte der fünfziger Jahre hatte er schon über fünfzig Filme gedreht, meist aber in Nebenrollen. Oft verkörperte er gut aussehende Adlige, wie schon 1935 Kaiser Franz Joseph in seinem Debütfilm „Königswalzer“. Während des Zweiten Weltkriegs tritt er im Wiener Burgtheater auf. Mit Mitte dreißig ist er arriviert, mit Mitte fünfzig erlebt er einen späten Frühling und umgibt sich mit jungen Frauen.

"... und kein bisschen weise": Seine Memoiren wurden zum Bestseller

Der Playboy, der im James-Bond-Film „Der Spion, der mich liebte“ den Bösewicht Karl Stromberg spielt, fährt RollsRoyce, unterstützt aber Willy Brandt und die rebellierenden Studenten. Er besitzt Domizile in Südfrankreich, Gstaad, Wien, Paris und auf den Bahamas. Bis kurz vor seinem Tod 1982 werden Badehosen-Fotos von ihm gedruckt, die ihn mit stark behaarter Kleiderschrank-Brust am Pool zeigen. Seine Machogesten verweisen auf die Konsumgeschichte der frühen Bundesrepublik.

Curd Jürgens hat vorgeführt, dass man Widersprüche lebenslang lustvoll aushalten kann. Einerseits hat er seine Memoiren unter dem Titel „ … und kein bisschen weise“ veröffentlicht, die sich mehr als eine Million Mal verkauften. Andererseits sagte er über seinen Nachlass: „Komm, machen wir den Swimmingpool leer und eine große Party und verbrennen den ganzen Quatsch.“ Zum Glück hat sich seine Witwe nicht daran gehalten.

Heike Specht: Curd Jürgens. General und Gentleman. Aufbau Verlag, Berlin 2015, 480 S., 22,95 €. Buchpremiere mit Film: Montag, 14.12., Theater am Palais, 19.30 Uhr

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