Musik: Sopranistin Piau: Neugierig wie eine Katze
Die Sopranistin Sandrine Piau tritt am Mittwoch im Kammermusiksaal auf.
Am Anfang Schläuche. Rote, graue und braungelbe, die alle irgendwo im Körper des kleinen Mädchens münden. Und dann, wie ein Lichtstrahl, Musik. Immer diese Melodie in festlichem D-Dur, die aus dem alten Fernseher schrillt. Und wieder das Mädchen, das sich nicht satthören kann und die die Töne mit seiner Kinderstimme bald so oft nachsingt, dass es die Schwestern und Mitpatienten kaum mehr aushalten. Wollte man einen Film über die Geschichte einer Opernsängerin drehen, könnte er so anfangen wie diese früheste Kindheitserinnerung von Sandrine Piau. Happy End inklusive, denn heute, fast 40 Jahre später, ist aus dem dauerkranken Mädchen eine weltweit gefeierte Opernsängerin geworden. Als würde die Hymne aus dem „Te Deum“ des französischen Barockmeisters Marc-Antoine Charpentier, die damals als Erkennungsmelodie der Eurovision jedem Kind bekannt war, noch immer tief drinnen nachhallen. Kindheit ist das Schlüsselwort für die Rollen, die sich Sandrine Piau seit ihrem Operndebüt Mitte der neunziger Jahre angeeignet hat: Für ihre Cleopatra in Händels „Giulio Cesare“, für ihre vielen Mozart-Rollen, aber auch für ihre Mélisande in Debussys so beharrlich um Unsagbares kreisendem „Pelléas“. „Das ist vielleicht meine Obsession als Sängerin: meinen Figuren ein Stück Kindheit zu bewahren“, erklärt sie. „Die Unschuld und das Erstaunen, die sonst im Leben einfach verloren gehen.“
Tatsächlich beschreibt kaum etwas so gut die besondere Ausstrahlung der französischen Sopranistin wie diese beiden Worte – Unschuld und Erstaunen. Wenn Sandrine Piau Händel singt, hat das nichts von extrovertierter Show. Stattdessen hat man das Gefühl, dass da jemand diese Musik gerade erst für sich entdeckt, mit ihr jubelt und trauert. Ihr feiner, agiler Sopran hat nichts von stählerner Brillanz und gestanzter Koloratur, sondern bewahrt immer ein menschliches Maß, das ihre Opernfiguren unmittelbar zugänglich macht: Eine Cleopatra, deren Verführungskünste ohne hinterhältige Absichten der Freude an der eigenen Schönheit entspringen, eine Donna Anna im „Don Giovanni“, die einfach eine junge Frau ist, die mit den Heiratsplänen ihres Vaters unglücklich ist und sich einen anderen Traumprinzen ersehnt.
Man ahnt, wie auch ihre Sophie im „Rosenkavalier“, die sie 2012 in Montpellier wagen will, auf diese Art bezirzen wird: Es spielt dann überhaupt keine Rolle mehr, dass Sandrine Piau mit Mitte 40 eigentlich weit über das Bühnenalter dieser Backfischrolle hinaus ist, weil ihre Stimme immer noch diesen Klang besitzt, den die Kümmernisse des Erwachsensein kaum angekratzt haben.
Dass Piau sich die Unschuld ihrer Stimme bewahren konnte, liegt neben einer vorsichtigen Rollenauswahl vor allem daran, dass sie erst vergleichsweise spät zur Sängerin geworden ist. Zwar steckten ihre musikbegeisterten Eltern die Zehnjährige auf den Rat eines Doktors in den Kinderchor der Pariser Oper. Doch dann kam erst mal eine andere Leidenschaft dazwischen. „Meine erste Opernvorstellung war ‚Aristocats‘, und von der Harfe spielenden Katze war ich so begeistert, dass ich sofort selbst Harfe lernen wollt“", erinnert sie sich. Studium am Conservatoire und eine gesicherte Existenz als Harfenistin waren die Folge.
Nie, sagt sie, habe sie in dieser Zeit daran gedacht, dass aus ihr einmal eine professionelle Sängerin werden könnte. Geblieben ist ihr die Haltung zur Musik: „Als Harfenistin begleitet man und folgt der Melodie, und vielleicht ist das auch der Grund, weshalb ich am liebsten Musik singe, bei der ich Teil eines größeren Ganzen bin.“ Das hieß für Sandrine Piau zunächst einmal Singen im Chor von William Christie, der um 1990 gerade mit seiner Revitalisierung des französischen Barockrepertoires begonnen hatte. Und das heißt bis heute: kein Belcanto, sondern Lully und Bach, Britten und Mozart oder die deutschen Barockkomponisten wie Telemann und Keiser, die sie gerade für sich entdeckt hat. Sie sei eben neugierig wie eine Katze, sagt sie fast entschuldigend. Dass die Melodie, die sie als Kind sang, Charpentiers „Te Deum“ war, hat sie übrigens erst viel später entdeckt: Bei ihrem ersten Soloauftritt als Sängerin, 1989 in Aix-en-Provence, stand zufällig genau dieses Werk auf dem Programm.
Am Mittwoch, 3. März, singt Sandrine Piau u.a. Giovanni Battista Pergolesis „Stabat mater“ mit den Berliner Barock Solisten im Kammermusiksaal.
Jörg Königsdorf