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Kultur: Sotto voce: Jörg Königsdorf über das klassische Import/Export-Geschäft

Ökonomen würden Berlins Klassik-Szene wahrscheinlich eine haarsträubend unausgeglichene Handelsbilanz ankreiden: Während die acht Orchester der Stadt tournierend um die Welt jetten und ihren herkunftsgeschützten Beethoven exportieren, herrscht auf der Importseite Mangelwirtschaft. Gastspiele erstklassiger ausländischer Orchester haben Raritätenstatus und für das Berliner Publikum existiert die einheimische Klassik-Kultur quasi abgekoppelt von internationalen Qualitätsstandards.

Ökonomen würden Berlins Klassik-Szene wahrscheinlich eine haarsträubend unausgeglichene Handelsbilanz ankreiden: Während die acht Orchester der Stadt tournierend um die Welt jetten und ihren herkunftsgeschützten Beethoven exportieren, herrscht auf der Importseite Mangelwirtschaft. Gastspiele erstklassiger ausländischer Orchester haben Raritätenstatus und für das Berliner Publikum existiert die einheimische Klassik-Kultur quasi abgekoppelt von internationalen Qualitätsstandards. Eine Misere, die auch dadurch bedingt ist, dass sich Gastspiele angesichts des niedrigen Berliner Kartenpreisniveaus kommerziell kaum lohnen - und die gesellschaftlichen Ereignisse anders als in den meisten Städten nicht die Gastorchester-Zyklen, sondern die Konzerte von Philharmonikern, Staatskapelle und DSO sind. Umso besser, wenn die Philharmoniker die Initiative ergreifen und für die Zeit ihrer Tournee-Abwesenheit ein Ersatzorchester engagiert haben. Eine Idee, die Schule machen sollte: Wenn jedes Berliner Orchester während seiner Tournee-Abwesenheit gleichrangigen Ersatz stellen müsste, wäre die Klassik-Bilanz ausgeglichen und das Musikklima der Hauptstadt bekäme neue Impulse.

Während die Abbado-Truppe in Rom Beethoven spielt, gastiert das römische Orchester der Accademia nazionale di Santa Cecilia in der Philharmonie. Leider nur mit einem einzigen Konzert, was dem Ganzen den Charakter eines Pilotprojektes verleiht: Erstmal ausprobieren, ob die Berliner den Philharmoniker-Ersatz akzeptieren und auch das gewagte Programm schlucken, das sich Dirigent Peter Eötvös überlegt hat: Bartóks "Wunderbarer Mandarin" als Zugstück, dazu Messiaens "Réveil des Oiseaux" und das Orchesterwerk "Zero Points" von Eötvös selbst, der zuletzt als Komponist der Tschechow-Oper "Drei Schwestern" im Feuilleton bejubelt wurde. Und das noch dazu am Montag abend, wenn die Philharmonie-füllenden Wochenend-Touristen alle schon wieder abgereist sind und die Berliner auch nicht gerade ausgehfreudig sind - nicht umsonst ist Montag der häufigste Half-price-Tag in Kneipen und Kinos. Die Gefahr eines Gespensterkonzerts vor leeren Rängen braucht man nicht erst an die Wand zu malen. Da hilft wohl nur, das hauptstädtische Kulturvolk zu bitten, seine Gäste auch willkommen zu heißen. Denn sonst kommen sie nicht wieder.

Aus der Serie: \"Sotto Voce\"

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