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Kultur: Sprich mit ihr

Wettbewerb (2): Alain Corneaus Psychodrama „Les mots bleus“ mit Sylvie Testud

Heiter ist die Kinderwelt hier nicht. Wenn zu Beginn eine Kinderhand mit bunten Filzstiften Figuren zeichnet, sind es Gesichter ohne Mund. Und als die Mutter eine Sprechblase hinzufügt, greift die Tochter zum Blaustift und streicht das ganze Gesicht wütend durch.

Anna weigert sich zu sprechen. Taub ist sie nicht, stumm auch nicht, sagt der Arzt, doch Worte machen ihr Angst. Angst hat auch ihre Mutter Clara. Angst, die von einem frühkindlichen Trauma herrührt, das ihr offenbar die Großmutter weitergegeben hat. Der Großvater, erzählt sie, sei von den Deutschen erschossen worden, weil er die falsche Sprache sprach. Die Großmutter ist daraufhin irgendwann verstummt. Und Clara hat lesen und schreiben verlernt.

Ein Kind, das nicht sprechen will. Eine Frau, die nicht lesen kann. Ein Mann, der Angst hat, nicht mehr sehen zu können. Versehrte Menschen, die aus Angst verlernt haben zu kommunizieren. Wie die drei zusammenfinden, ist Thema von Alain Corneaus Psychodrama „Les mots bleus“ nach einem Roman von Dominique Mainard. Das geht gut, solange Anna im Vordergrund steht, die auf einer Taubstummenschule dann doch aufblüht. Camille Gauthier hat eine Ernsthaftigkeit, eine Kraft und einen Trotz, die den Film mühelos alleine getragen hätten.

Doch irgendwann wird klar: Das größere Problem ist die Mutter. Die sonst so burschikose Sylvie Testud spielt eine ganz in sich verbarrikadierte Frau, die ihre Tochter mit Fürsorge erstickt. Deren Taschen füllt sie mit Zetteln, auf denen Wünsche stehen, für den Fall, dass man sich nicht mehr wiedersieht. Was genau das Problem der Mutter ist, erfährt man nicht. Sie lässt halt niemanden an sich heran. Das ist die eigentliche Herausforderung für den still liebenden Taubstummenlehrer Vincent (Sergi Lopez). Am Ende kann er sie gerade noch rechtzeitig aus dem Meer retten.

Warum müssen sensible Frauen eigentlich immer von starken Männern gerettet werden? Und was sind eigentlich „Blaue Worte“? „I will tell her words in blue/Those words for the happy few“, heißt es in einem Lied von Jean-Michel Jarre. Doch auch die blauen Worte helfen nicht.

Heute, 9.30 und 21 Uhr (Urania)

Christina Tilmann

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