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Kultur: Star ohne Pathos

Über den Jubilar als Wunderkind / Von Joachim Kaiser

Man erschrickt fast darüber, wie früh und wie selbstverständlich Hellmuth Karasek Erfolge hatte, sogleich zur Spitzengruppe des deutschen KulturJournalismus gehörte. Der war wirklich erst 25 Jahre alt, als er beim damals fabelhaften Feuilleton der „Stuttgarter Zeitung“ beginnen durfte: Und 32, als er dort Feuilleton-Chef wurde. Dann ging es weiter immerhin mit der „Zeit“ und dem „Spiegel“.

Stellt man sich vor, wie ein solcher Über-Flieger eigentlich aussehen müsste, dann gleicht dieses (nicht unbedingt sympathische) Bild dem Hellmuth Karasek keineswegs. Der ist nämlich ein Prominenter ohne Pathos. Selbst wo er rückhaltlos lobt, wo er wütend ablehnt: Bedeutungsschwanger-pathetisch wird mein alter Freund Hellmuth Karasek nie. Er bleibt dann eher, im Negativfalle, beim witzigen Klageton. Falls er rühmt, dann tut er es freilich auf eine Weise, dass man nicht gleich denkt: Wie witzig er zu loben versteht. Sondern doch nur: Da muss es sich wirklich um etwas Gutes handeln.

Hellmuth Karaseks Pathoslosigkeit kann die Folge haben, dass seine Leser nicht ermessen, wie viel er weiß. Als Kritiker, als Rudolf Noeltes Dramaturg, als Publizist oder auch als Akteur des „Literarischen Quartetts“ vermochte er mit sozusagen leidend vergnügtem Eifer stets rasch den Finger auf die Wunde, auf die Schwäche des Gegenstands zu legen. Das war und blieb bei ihm ganz selbstverständlich bis auf den heutigen Tag. Mitte der Sechziger Jahre veröffentlichte ich irgendwo einen längeren Essay über Ibsen, auf den ich stolz war. Karasek sagte nach der Lektüre nur: „Alles sehr schön – aber warum hast du die Stützen der Gesellschaft beinahe übersehen?“ (Leider hatte er Recht).

Als ich ihn kennen lernte, als Hans Werner Richter von Karaseks Freunden bewogen worden war, den jungen Star doch auch zu einer Tagung der „Gruppe 47“ einzuladen, da stellte der Neuankömmling eine seltsame Mischung dar aus Naturburschentum und bildungssattem Wunderkind. Ich erinnere mich wohl, dass ich auf Hans Werner Richters Frage, wie denn der Karasek aussehe, ein bisschen überheblich geantwortet hatte: Wie jemand, der einen unsichtbaren Ranzen auf dem Rücken trägt. Dann kam Karasek. Richter erkannte ihn nach dieser Beschreibung sogleich und lachte ganz unbeherrscht. Natürlich wollte Karasek wissen, warum. Doch ich traute mich nicht, es ihm zu sagen.

Lassen wir unerörtert, ob es tatsächlich nur ein Vorteil ist, wenn einer auf alles eigene Pathos verzichtet, genauer: dank seiner Natur und seiner witzigen Intelligenz zu diesem Verzicht schlicht gedrängt wird. Dass eine solche Haltung eine gewisse Verkennung des Betreffenden bewirken kann, liegt auf der Hand, So trifft beispielsweise nicht zu, was manche Betrachter des „Literarischen Quartetts“ Karasek vorzuwerfen nicht müde wurden. Nämlich, dass Karasek dort immer nur ein bestätigender Assistent des M.R.-R. gegen die S.L. gewesen sei. Dutzende von Malen, besonders krass bei der Diskussion eines Romans der Engländerin A.S. Byatt hat er eigensinnig und herb widersprochen...

Wir sind über 40 Jahre befreundet. Da findet man kaum eine Distanz mehr für „objektive“ Würdigung. Lieber wünsche ich dem Jubilar, vorerst mindestens ein gutes Jahrzehnt weiter seiner witzigen Orginalität zu frönen und währenddessen privatim bei Speis und Trank keinerlei Diät einhalten zu müssen.

Joachim Kaiser (geb. 1928) ist Kulturpublizist und leitender Redakteur der „Süddeutschen Zeitung“ in München.

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