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Die Sonne, ein glühender Brocken aus Wasserstoff, Helium und noch ein paar zerquetschten Elementen.

© dpa

Reihe "Mein Stern" (4): Stein und Gestirn

Am Äquator scheint man der Sonne auf Erden am nächsten zu kommen. Dort streckt unsere Kugel ihren Bauch dem 150 Millionen Kilometer fernen Stern am weitesten entgegen.

Wenn auf Erden etwas Außergewöhnliches geschieht, greift der Mensch zu den Sternen. Himmelt sie an, die Stars der Stunde, bestirnt Köche, Weine, Hotels. Leuchte uns heim in dunkler Nacht: eine kleine Sternenkunde zwischen den Jahren, täglich an dieser Stelle.

Fixe, ikarische Idee, der Sonne auf Erden so nahe wie möglich kommen zu wollen und deshalb, zumindest einmal im Leben, auf dem Äquator zu stehen. Dort also, wo unsere komisch kosmische Kugel ihren Bauch dem 150 Millionen Kilometer fernen Stern am weitesten entgegenstreckt. Und das ist gar nicht so einfach: Nur zehn der fast 200 Länder des Globus berührt die Äquatorlinie – drei sind es in Südamerika, sechs in Afrika, und in Asien kommt Indonesien hinzu. Fertig, aus, der Rest gehört den schwankenden Ozeanen.

Ganz habe ich es bis heute nicht geschafft. Dieses Jahr aber bin ich dem Äquator zumindest bis auf knapp drei Breitengrade nah gekommen. Ein Tag am Meer ging dort so: steiler Aufstieg der Sonne aus den immerdunklen Wäldern, am Mittag stundenlanges Trödeln des Fixsterns fast auf der Stelle, brennend vom höchsten Punkt des Himmelszelts. Und dann: der lotrechte Fall ins Meer. Kein tangentiales Schlingern des Gestirns über das Firmament, sondern der Untergang auf kürzestem Wege. Fertig, aus, und tropische Nacht.

Unterwegs liebe ich dieses Dämmerungslose. Das Absolute, das sich in der tagtäglichen hohen Sonnenbahn über der Erdenmitte ausdrückt. Nachmittags mag es dort nicht gleich ein fixes Fallen sein, eher ein majestätischer Abstieg, aber es scheint, als könne die Sonne gar nicht anders, als sich ihrem eigenen gewaltigen Gewicht zu ergeben und so bald wie möglich in die dampfenden Meere einzutauchen. Eine einzige Tag- und Nachtgleiche, mit allenfalls minimalen Amplituden. Pure Unveränderlichkeit, hinzunehmender Stillstand, das endlich Immerselbe. Als sei das Leben selber in seiner Ungeduld auf einmal aufgehalten.

Die Sonne: Sie ist mein Stern, der einzige aus eigener Kraft leuchtende und verlässliche und wärmende, der mich durch Zeiten und Räume leitet. Auf Reisen will ich sie so radikal; übers Jahr schätze ich die langen abendländischen Abende, die Zwischenräume und Zwischenzeiten, in denen man sich dem, was sich sonst so absolut gebärdet, mühelos entzieht. Dann ist es schön, Tag und Nacht inwendig zu kennen, aber keinem dieser „Länder“ ganz anzugehören, wie Rilke in seinem Gedicht „Abend“ schreibt. Vielmehr lassen diese Länder dir dein Leben bang und riesenhaft und reifend, / so daß es, bald begrenzt und bald begreifend, / abwechselnd Stein in dir wird und Gestirn.

Stein und Gestirn, das ist es – beides! Und zur Sonne, dem riesigen glühenden Brocken aus Wasserstoff und Helium und noch ein paar zerquetschten Elementen, passt es auch.
Bisher erschienen: Zimtstern (24.12.),

Gourmet-Sterne (27.12.), Rote Sterne (28.12.)

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