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Kultur: Stich für Stich

Aus drei Jahrzehnten: Fotocollagen von Annegret Soltau in der Giedre Bartelt Galerie

Der künstlerische Leitfaden von Annegret Soltau ist wörtlich zu verstehen: Seit über 25 Jahren dienen ihr Nadel und Garn neben der Kamera als wichtigste Utensilien zur Herstellung ihrer Collagen. Die Giedre Bartelt Galerie zeigt eine repräsentative Auswahl der Fotovernähungen, in denen die Künstlerin traditionell weibliche Handarbeitstechnik mit Bildfindungen kombiniert, die um Grundfragen von Identitätsbestimmung und Vergänglichkeit kreisen (Preise zwischen 450 und 7500 Euro).

Zerschnittene und zerrissene Fotografien ihrer selbst sowie von Tochter, Mutter und Großmutter fügt Soltau neu zusammen. Dabei hinterlassen ihre sezierenden Eingriffe deutliche Spuren: Risse durchlaufen diese lediglich von groben Nähten zusammengehalten Leiber, denen etwas Monströses anhaftet. Gleichzeitig formuliert sich das Postulat einer matrilinearen Zwangsgemeinschaft, deren einzelne Mitglieder in einer Art osmotischem Verhältnis zueinander stehen.

Die Auseinandersetzung mit dem naturhaften Anteil der menschlichen Existenz steht im Zentrum einer anderen Werkgruppe, den „Grimas“. Jenseits aller Niedlichkeit und positiver Affiziertheit vom Kindchenschema gelingen Soltau verstörende Synthesen von Tierköpfen mit dem eigenen Gesicht und dem ihrer Tochter. Bezeichnenderweise schenkt Soltau dabei nicht nur den Vorderansichten ihrer Vernähungen Aufmerksamkeit. Auf der Rückfront gewinnen die Umrisslinien der umstichelten Figuren abstrakten Charakter und verweisen auf die Anfänge ihrer künstlerischen Laufbahn als Malerin und Grafikerin. Die 1946 geborene Künstlerin begann nach dem Studium in Hamburg und Wien in den Siebzigerjahren mit Performances und Videoarbeiten, bevor sie diese Verfahrensweise in das fotografische Abbild übertrug.

Auch wenn Soltaus Kunst immer wieder Anteil an feministischen Diskursen hatte und im kunsthistorischen Bezugssystem zwischen Hannah Höch, Carolee Schneemann, Ulrike Rosenbach oder Valie Export ihren Platz gefunden hat, hat die Künstlerin eine übermäßige Theoretisierung ihres Werkes nie sonderlich interessiert. Ausgangspunkt war immer die eigene kreatürliche Konstitution, die Veränderungen der Physis, die mit Schwangerschaft und Geburt einhergehen. Lebensspuren, die sich mit dem Alterungsprozess in die Körperhülle einschreiben.

Giedre Bartelt Galerie, Wielandstraße 31, bis 1. März; heute 11–14 Uhr .

Jan-Phillip Frühsorge

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