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Die Ébènes: Primgeiger Pierre Colombet, Cellist Raphael Merlin, Gabriel Le Magadure, zweite Geige, und Adrien Boisseau, Bratsche. (v.l.)

© Julien Mignot/Promo

Quatuor Ébène: Süßer Vogel Jugend

Geisterstunde mit Haydn, Debussy und Beethoven: Das Quatuor Ébène bezaubert im Kammermusiksaal der Berliner Philharmonie

Es ist ein eleganter, im Schmelztiegel der Weltentrückung veredelter Schmerz, den das Quatuor Ébène seinem Beethoven, Debussy und sogar Haydn zugrundelegt. Süßer Vogel Jugend: so viel Traumtanz, so viel Versenkung, so viel samtene Sehnsucht und zuckendes Begehren legen die vier Franzosen an den Tag, dass sie ihrem Ruf als Boygroup der Streichquartettszene einmal mehr alle Ehre machen.

Sie sind so frei. Und das Publikum – eine wilde Mischung aus euphorischen studentischen Fans und nicht minder entzückten älteren Semestern – liegt ihnen zu Füßen. Haydns C-Dur-Quartett op. 20 Nr. 2 nehmen die Ébènes rhapsodisch, verzaubern den Kammermusiksaal mit wahlweise butterweich verschliffenen oder spukhaft verhuschten Elegien, durchsetzt von Gefühlseruptionen der verzweifeltesten Art. Ganz frei von Pose ist das nicht, aber wenn Primgeiger Pierre Colombet sich in den Gesamtklang einschmiegt, wenn der Bratscher Adrien Boisseau sein glutvolles, ebenholzdunkles Timbre beisteuert, geht es gleichwohl zu Herzen.

Romantik, das Privileg der Jungen: Selbst die leeren Oktaven bei Debussy spielen sie so, dass sich eine ganze Welt dabei auftut. Dessen g-Moll-Quartett op. 10 statten die vier durch schlichtes Tremolo mit orchestralem Volumen aus, nehmen den zweiten Satz südländisch feurig, um sich für den dritten Satz alle Zeit der Welt zu nehmen – Gebet an eine ferne Geliebte. Und der Finalsatz: ein Gershwin in Zeitlupe, den die jazzkundigen Pariser bis in den Irrwitz hinein beschleunigen.

Bei Beethovens Großer Fuge op. 133 werden sie wild, schroff, geraten an Grenzen

Einfühlung, Kontemplation und der schwere Duft der Vergeblichkeit: Jedes Fugato bei Beethovens op. 130, diesem ja ohnehin wie eine kühne Improvisation erscheinenden Werk, verwandelt das Quartett in ein wehmütig intimes Nachsinnen. Symbiotisch präzise die unvermuteten Registerwechsel vom Furor ins Fahle und wieder zurück. Jeder einzelne Ton wird zum lebendigen Organismus, den die Musiker behutsam auf Händen tragen, wobei vor lauter Innigkeit des Augenblicks der große Spannungsbogen auch mal verloren geht, etwa in der Cavatina.

Bei der Großen Fuge op. 133 – das Ensemble wählte für sein Berliner Konzert Beethovens ursprünglichen, umstrittenen Schlusssatz für op. 130 – werden sie ganz im Gegenteil schroff, kehren die Dissonanzen mit aggressivem Duktus hervor und machen keinen Hehl daraus, dass wohl jeder Geiger hier an seine technischen Grenzen gerät. Schmerz und Schmelz, schön und gut, aber bitte keine Gefühlsduselei.

Ébène, Ebenholz, ist ein kostbares Holz, man schreibt ihm magische Wirkung zu. Geister beschwören, das können die vier.

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