zum Hauptinhalt
Die Flammentürme von Baku.

© REUTERS / Alessandro Bianchi

Theaterfestival in Baku: Die Last der Sieger

Frischer Wind und alte Riten: In der aserbeidschanischen Hauptstadt ringen die Bühnen um einen freien, gegenwärtigen Ausdruck. Das Bild bleibt ambivalent

Von Ute Büsing

Stand:

In der aserbaidschanischen Hauptstadt Baku ist schon viel los. 2012 gab es eine Ausgabe des Eurovision Song Contest in der eigens dafür erbauten Kristallhalle. Die Formel Eins fährt seit 2016 Rennen in der Kulisse gigantischer Neubauten. Film- und Kunstfestivals bewerben die 2,3 Millionen-Einwohner-Metropole am Kaspischen Meer als Kulturhauptstadt. Seit vergangenem Jahr ist das „4.4. Festival der Kurzen Performances“ als weiteres kulturelles Schaufenster des autokratisch regierten Staates hinzugekommen.

Die vom Kulturministerium geförderte Leistungsschau des aserbaidschanischen Theaters soll neue Perspektiven für die landesweit 28 staatlichen und 17 freien Bühnen bringen. Fand die erste Ausgabe vor einem Jahr wegen der Corona-Pandemie ausschließlich digital statt, öffneten sich beim zweiten Wettbewerbs-Durchgang jetzt sechs staatliche Bühnen in Baku für zwölf maximal einstündige Monologe und Minidramen.

Trauer um gefallene Söhne

Allerdings gab es eine klare inhaltliche Vorgabe. Anlässlich des staatlich ausgerufenen Susa-Kulturjahres sollte diese in der Region Berg-Karabach gelegene „heilige“ Stadt mehr oder weniger Thema der kurzen Neuproduktionen sein. Einige beteiligte Bühnen setzten die Vorgabe um, in dem sie Kriegsheimkehrer und Mütter, die ihre im Kampf gefallenen Söhne betrauern, in den Mittelpunkt rückten. Unter markant verdorrten Bäumen trugen viele Darsteller bleischwere Erinnerungskoffer mit sich herum.

Im Bühnenhintergrund wurden öfters die Porträts von Gefallenen projiziert, die in Aserbaidschan wie Märtyrer verehrt werden. Im Publikum der eintrittsfrei zugänglichen Performances saßen auch Veteranen in ordensgespickten Camouflage-Uniformen. Der bekannteste aserbaidschanische Theaterkritiker, Aydin Talibzade, gehörte zur Jury des Festivals.

Feier nationaler Größe

Wie alle Beteiligten beugte auch er sich dem verordneten nationalen Narrativ, nachdem das Festival den „Befreiungskrieg“ gegen die 30 Jahre währende „armenische Okkupation“ von Berg-Karabach und damit von Susa, „feiern und kreativ befeuern müsse“. Allerdings wandte er sich, ebenso wie seine Jury-Kollegen, gegen allzu offensichtlich propagandistische, „künstlerisch schlechte“ Produktionen.

Das Festival trägt die „44 Tage“ bis zum aserbaidschanischen Sieg gegen die armenischen Truppen in Berg-Karabach im November 2020 bereits im Titel. Farah Ajalova, Abteilungsleiterin im Kulturministerium, kann in der eindeutigen Setzung „kein Kriegs-Narrativ“ erkennen. In Susa seien schließlich Theater, Literatur und Musik des Kaukasus-Staates entstanden. Die Stadt ist für die Aserbaidschaner Fixpunkt für Projektionen von Heldentum und nationaler Größe.

Aserbeidschanische Soldaten im Krieg um Berg-Karabach.

© dpa / --

So feierte die bei der Oscar-reifen Abschlussgala im Staatlichen Aserbaidschanischen Musical Theater in Baku schließlich sogar prämierte Produktion „Legende vom Wolf“ einen Schamanen, der mit Hilfe des Tieres den Sieg in Susa erzwingt. Als beste weibliche Darstellerin wurde Zemfira Abdulsamadova geehrt, die im passgenau 44-minütigen Monolog „Ich glaube“ tatsächlich mehrdimensional eine Mutter verkörpert, die ihren Sohn im Krieg verloren hat.

44
Magische Zahl für Aserbeidschan

Für westliche Beobachter wirkt das vom historischen Trauma der Niederlage befreite neue nationale Narrativ des Sieges in seiner Ballung befremdlich. Geht es auch noch mit schlechter Kunst und Kitsch einher, wie bei mindestens der Hälfte der zwölf gezeigten Neuproduktionen, sollte die Situation bedenklich stimmen.

Dabei will das „4.4. Festival der kurzen Performances“ doch gerade neue Formate und Experimente vorantreiben. Das jedenfalls wünscht sich der kreative Kopf und Motor, der Theaterwissenschaftler und Kritiker Elchin Jafarov. Er will ein Forum für den Diskurs über die Ausrichtung des aserbaidschanischen Theaters etablieren junge Leute für das Theater gewinnen. Das zumindest ist gelungen. Zu den Vorstellungen, begleitenden Workshops und Meisterklassen strömten die Studierenden der Kultur und Schönen Künste.

Sie vergaben den „Preis der jungen Festival-Experten“ an „Der Mantel“, nach der Erzählung von Nikolai Gogol. Diese energetische Tanz-Produktion des Staatlichen Pantomime Theaters Baku gewann auch den mit umgerechnet 3000 Euro prämierten Hauptpreis des Festivals. Das machte Mut und ließ aufhorchen, schließlich ist das Stück von Jeyhun Dadashov maximal weit entfernt von 44 Tagen Krieg und der aserbaidschanischen Kulturhauptstadt Susa.

Der 39-jährige Regisseur und sein auch bei vielen internationalen Auftritten bestens eingespieltes Ensemble umkreisen den längst auch in Aserbaidschan angekommenen gierigen Run auf Geld, Karriere, Statussymbole, Macht. So geht Gegenwartstheater, von dem dann auch Chefkritiker Aydin Talibzade schwärmen kann: „auf den Punkt, hellsichtig, eine wahre kreative Befreiung.“

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
console.debug({ userId: "", verifiedBot: "false", botCategory: "" })