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Bruckner verschrieben. Der britische Dirigent Robin Ticciati.

© Marco Borggreve

Ticciati dirigiert das DSO: Selten war uns Bruckner näher

Das Deutsche Symphonie-Orchester führt unter Leitung von Chefdirigent Robin Ticciati Bruckners Achte auf. Dessen Symphonien sind eine wahre Herausforderung.

Ganz am Ende, nachdem mit aller musikalischen Macht der Tod, wenn nicht besiegt, so doch kurzzeitig zum Schweigen gebracht ist, löst ein einzelner Buh-Ruf die kostbare Stille nach Anton Bruckners 8. Symphonie in der Philharmonie allzu schnell auf.

Selten wirkte dieses akustische Zeichen des Nichtzustimmens so deplatziert, selbst wenn man partout nicht einverstanden wäre mit der Lesart von Robin Ticciati am Dirigentenpult seines Deutschen Symphonie-Orchesters. Bruckners Symphonien haftet noch an, was der Kanon klassischer Musik weitestgehend eingebüßt hat: etwas unbezwingbar Rätselhaftes, das nur von wenigen eingeweihten Hohepriestern gedeutet werden kann.

Der junge Dirigent hat sich Bruckner verschrieben

Es hilft dabei ungemein, wenn der Dirigent über seinem Dienst an der Kunst ergraut und auch etwas gebeugt ist. Dann stehen die Chancen gut, dass er in Bruckners gigantischer Klangarchitektur Konturen erkennt, wo andere nur artistisch im Nebel stochern.

Ticciati, 36 Jahre jung, ist das Gegenteil eines Taktstockältesten – und dennoch hat er sich Bruckner verschrieben, sieht dessen Symphonien als ständige Herausforderung von Orchestern und Dirigenten. Zu seinem Debüt beim DSO dirigierte er die Vierte, als Chefdirigent folgten die Sechste und die Siebte.

Stets begegnete der britische Lockenkopf dabei dem Verdacht, er könne wahlweise der Komplexität oder dem beharrlich eingeforderten großen Bogen dieser Werke nicht gerecht werden. Es spricht für Robin Ticciati, dass er als Antwort darauf seine Fragen an Bruckner noch weiter zugespitzt hat und sich dabei von allem messianischen Gebaren fernhält.

Seine Aufführung der 8. Symphonie, die der Komponist selbst als Mysterium klassifizierte, gerät zu einer Sternstunde – gerade weil das hingebungsvolle Orchester und sein Dirigent nicht an einfache Antworten glauben.

Ein Hohelied der Diversität

Noch vor die gut 80 Bruckner-Minuten hat Ticciati ein Präludium programmiert, das sogleich ins Zentrum der Dinge vordringt. Elliott Carter machte sich mit Mitte 80 daran, eine große Symphonie zu schreiben, deren Sätze auch einzeln aufgeführt werden können. So steht der Achten nun das ein Jahrhundert später entstandene „Adagio tenebroso“ voran.

Carter wirft darin kleine Lichtbälle in ein Dunkel von schier endlosen Ausmaßen. Manchmal kommen sie, irgendwo abgeprallt, zurück oder kollidieren unterwegs miteinander, meist aber schweigt der tiefe Raum, so wie bei Charles Ives, einem Vorbild des jungen Carter.

Die Ausgangslage ist also bereits existenziell prekär, wenn der erste Satz der Achten in seiner gewaltigen Zerrissenheit jenseits eines rettenden harmonischen Zentrums anhebt. Auch die kreisende Bewegung der Musik führt zu keiner Sicherheit, wohl aber zu jenem gespenstischen Moment, den Bruckner selbst „Todesverkündigung“ nannte.

Hier könnten nun allerhand Nebelkerzen gezündet und Weihrauch über die Abgründe geschwenkt werden. Doch für Ticciati entwickelt sich diese Musik in größtmöglicher Klarheit. Er will alles von ihr hören, auch wenn das vorgefasste Erwartungen enttäuscht. Sein Orchester spielt mit furioser Farbigkeit, aber ohne leichten Trost ein Hohelied der Diversität, das verwirrend sein mag – doch selten war uns Bruckner näher.

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