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Barbara Hepworth, Große und kleine Form (Large and Small Form), 1934.

© Bowness/Peter Cox Eindhoven

Tolle Ausstellung im Duisburger Lehmbruck-Museum: Kultische Formen und Doppelformen

Das Lehmbruck-Museum vereint die Bildhauer-Stars der Moderne und stellt dabei Barbara Hepworth als einzige konstruktive Bildhauerin ins Zentrum.

Von Helga Meister

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Paris war zwischen den Weltkriegen die Hauptstadt der abstrakten Bildhauer. Constantin Brâncuși vereinte das Geometrische und Organische, Hans Arp schuf biomorphe Formen, Jacques Lipchitz idolhafte Monumente. Doch mit dem Machtanspruch der Nazis flüchtete die Avantgarde und traf sich im britische Fischerdorf St. Ives, wo Barbara Hepworth und ihr damaliger Ehemann Ben Nicholson seit 1939 ihr Studio hatten. Hier setzt eine spannende Ausstellung im Duisburger Lehmbruck-Museum ein, die die Bildhauer-Stars der Zeit vereint und Hepworth als einzige konstruktive Bildhauerin in die Mitte nimmt. Unter dem Motto „Die Befreiung der Form“ geht es um einen Epoche-Wechsel vom Abbild zum Sinnbild. 

Entwicklung vom Gegenstand in die Abstraktion

Die Schau will sich nicht mit der Retrospektive von 2015 vergleichen, als die Tate Britain die Arbeiten der Hepworth von London aufs Festland schickte. Sie sucht die Totale der figurativen, abstrahierenden Skulptur in vergleichenden Beispielen der Zeit. Das Haus stützt sich nicht nur auf Leihgaben anderer Häuser, vor allem aus der Hepworth-Stiftung, sondern greift auf die eigene, klassische Sammlung zurück. So gelingt ein Stelldichein von Heroen wie Naum Gabo, Alberto Giacometti, Hans Arp, Antoine Pevsner, Lynn Chadwick und Henry Moore, letzterer im Außenraum. Hepworth (1903 - 1975) ist die einzige Frau inmitten der Superstars. Sie hat die Entwicklung vom Gegenstand in die Abstraktion mitbeeinflusst.

Sie war kein Mauerblümchen, sondern stellte sich selbstbewusst in zahlreichen Fotos neben ihre Arbeiten. Sie war pikiert, wenn sie sich gegenüber ihrem einstigen Kommilitonen Henry Moore ins Hintertreffen gesetzt sah. Konsequent verfolgte sie die abstrakte Form, anfangs biomorph, später etwas erstarrt. Als Moore elf Jahre nach Hepworth starb, wurde seine Asche in der St. Paul’s Kathedrale neben den Gruften von Wellington und Admiral Nelson bestattet. Aber auch Hepworth hatte beizeiten für ihr Museum und ihre Stiftung gesorgt, die an die Tate St. Ives angeschlossen sind.

Hepworth stand als Bildhauerin ihren Mann. Die Tochter eines Landvermessers liebte es akribisch und akkurat. Vor allem aber war sie eine gute Handwerkerin, die direkt in Stein arbeitete oder simple Bindfäden und Baumwollgarne durch das Teakholz zog und an den Enden in den Bohrlöchern verknotete. Naum Gabo sollte nach dem Krieg noch raffinierter zu linearen Raumkonstruktionen finden, indem er mit transparenten Nylonfäden sphärische Plastiken schuf.

Handwerk der Zeit

Das Handwerk war der Zeit geschuldet. Antoine Pevsner, Naum Gabos jüngerer Brüder, schweißte Metallstäbe aneinander, damit das Licht wie auf einem Prismenglas abprallen konnte. Das wirkte dynamisch und zugleich musikalisch, lässt bei Hepworth an Orpheus oder einen neutralen Klangkörper denken. „Die Schnüre entsprachen der Spannung, die ich zwischen mir und dem Meer, dem Wind oder den Hügeln empfand“, erklärte sie der Nachwelt schriftlich. Später wollte sie sich nicht mehr in die Karten schauen lassen, fädelte und nähte zwar weiterhin mit Draht in Gips, aber verkleidete die Oberfläche mit einer Metallarmatur, wenn sie nicht gleich in die Bronze wechselte, um für ihre Meeres- und neolithischen Felsformationen die nötige Stabilität zu erhalten.

Kultische Doppelform von Mutter und Kind

Kuratorin Jessica Keilholz-Busch inszeniert hinter einem durchlässigen Vorhang einen heiligen Raum, um die kostbarsten Werke dieser heroischen Zeit wie Perlen aneinanderzureihen. Den Mittelpunkt bildet Hepworths kultische Doppelform von Mutter und Kind (1934), wobei die eine Rundform die andere gebiert. Brâncușis „blonde Negerin“ (die noch so heißen darf), diese berühmte ovale Eiform mit Lippen in der Bronzefassung von 1926, ruht zur Anbetung freigegeben auf einem zweiteiligen Sandsteinsockel. Hans Arp, Freund und Vorbild der Hepworth, wird in menschenähnlichen Kurven vorgestellt. Seine extreme Verknappung wird übertroffen von Alberto Giacometti, der die Figur trotzdem niemals aufgibt. „Frau auf dem Wagen“ (1945) zeigt eine gipserne Göttin, die Hände eng am schlanken Körper, in sich gekehrt und wenig Raum einnehmend. Henri Laurens’ „Großer Amphion“ (1952) ist der Zukunft zugewandt, mit seiner in den Leib eingeschriebenen Lyra.

Die Ausstellung versteht sich als ein ständiges Geben und Nehmen unter Künstlern, frei vom Kunstmarkt und Kunstkompass. Laurens, Lipchitz, Max Ernst oder Arp entlockten selbst im Stein, Holz, Gips und Metall eine Sinnlichkeit. Bei Hepworth ist es eher eine Klarheit, Reinheit und Strenge, die ihr Werk auszeichnet. Aus der aktuellen Gegenwart ist die Schweizerin Claudia Comte das beste Beispiel für biomorphe Formen, in denen sie sich nicht scheut, auf die Vorfahren zu verweisen. Sie zerlegt einen Mammutbaum mit der Kettensäge und lässt ihn wie abstrakte Kakteen wachsen.

Barbara Hepworth, Orpheus (Maquette I), 1956.

© Bowness

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