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Die gute alte CD. Man will es doch in der Hand haben.

© AFP/Jacques Demarthon

Trotz marginaler Verkäufe: Warum CDs für Musiker wichtig bleiben

Mit CDs lässt sich zwar kaum noch Geld verdienen. Dafür nutzen viele Musiker sie im Streamingzeitalter als Marketinginstrument.

Die Kurve steigt an und wird immer steiler. Kurz vor dem Höhepunkt flacht die Linie ab und verharrt auf diesem hohen Niveau, dann fällt sie plötzlich ab. Es folgt eine leichte Wellenbewegung, ehe die Kurve am Ende der Grafik wieder nach oben geht. Bei diesem Schaubild geht es allerdings nicht um Infektionszahlen oder Impfquoten. Das Diagramm zeigt die Umsatzentwicklung der deutschen Musikindustrie zwischen 1984 und 2019.

Man erkennt aus der Grafik des Bundesverbands Musikindustrie (BVMI), wie der CD-Verkauf ab 1984 in die Höhe schießt und gleichzeitig Schallplatten und Musikcassetten rapide an Marktanteil verlieren. Umgerechnet rund 2,7 Milliarden Euro Umsatz machte die Musikindustrie im Rekordjahr 1997, bevor sie zuerst langsam, dann kräftig abstürzte. Auch die Gründe sind in der Tabelle aufgeführt: CD-Brenner, die Internet-Tauschbörse Napster, illegale Downloads. Lange Zeit fanden die Plattenlabels kein Mittel, um die ins Internet abgewanderte Musik zu Geld zu machen.

Jetzt gibt es wieder enorme Wachstumsraten. Gegenüber dem Vorjahr stieg 2019 der Anteil des Audiostreamings am Gesamtumsatz um 27 Prozent und generiert nun mehr als die Hälfte der Brancheneinnahmen. Zusammen mit den Downloads werden rund zwei Drittel der Gesamteinnahmen von 1,623 Milliarden Euro (2019) digital erwirtschaftet - die in den Verkaufszahlen weiter fallende CD und die wieder steigenden Anteile von Vinyl (3,4 Millionen verkaufte Schallplatten) und MC (200 000 verkaufte Musikcassetten) bilden das andere Drittel.

Von seinem Album „Kitchen Music“ aus dem Jahr 2006 verkaufte Thomas Siffling noch rund 30 000 Exemplare, von seiner letzten, vor rund drei Jahren erschienenen CD „Flow“ nur noch ein Zehntel. „Ein Album hat trotzdem noch einen hohen Stellenwert für den Künstler, um seine Arbeit zu dokumentieren“, sagt der Mannheimer Jazztrompeter, Produzent und Clubbetreiber. Seine CDs gehen vor allem nach Konzerten weg: „Die Leute möchten etwas mit nach Hause nehmen. Damit wird die Gage ein bisschen aufgebessert.“

Aber das Hörerverhalten hat sich verändert. Man hört keine Alben mehr, sondern Tracks. Manche seiner groovigen oder auch chilligen Nummern landen auf Playlists, die in Restaurants und Cafés gespielt werden – da hat es 2020 für ihn Einbußen gegeben. Bei Streamingplattformen wie Spotify wird jeder einzelne Track gezählt. Aber bei durchschnittlich 0,3 Cent pro Stream braucht man sehr viele Clicks, um nennenswerte Einnahmen zu erzielen. Siffling nutzt das Medium vor allem zur Marktanalyse, weil er Auskünfte über die Altersgruppe, das Geschlecht und den Wohnort seiner Fans bekommt. „Wenn ich in einer bestimmten Stadt viele Streams habe, dann kann das bei Anfragen für einen Auftritt schon ein Argument sein.“

Die Klassik ist weiter auf dem absteigenden Ast

Udo Dahmen, Leiter der Popakademie Mannheim, beobachtet ganz unterschiedliche Wege, die Studentinnen und Studenten für die Veröffentlichung ihrer Musik wählen: mit oder ohne Label, über Online-Konzerte und ihre eigenen Social-Media-Kanäle. „Digitale Modelle, bei denen Künstlerinnen und Künstler direkt bezahlt werden, gewinnen an Bedeutung.“ Das Fehlen des Livegeschäfts in der Coronapandemie habe diese digitale Entwicklung verstärkt. Es wurden mehr Songs geschrieben. „Auch die Produktion von Filmmusik hat zugenommen.“

Im Gegensatz zum Pop ist die Klassik weiter auf dem absteigenden Ast. Der Umsatz sank (nach 24 Prozent Verlust 2018) trotz leichtem Wachstum beim Streaming im Jahr 2019 um rund sieben Prozent. Der Anteil am gesamten Musikmarkt beträgt aktuell nur noch 2,2 Prozent. Gerade deshalb ist der Klassikmarkt, der von den drei Major Labels Warner Classics (mit Erato), Sony Classical und Universal (Deutsche Grammophon, Decca) dominiert wird, besonders umkämpft.

Weil die Albumverkäufe die Produktionskosten nicht mehr einspielen, müssen wohl selbst bekannte Interpreten in vielen Fällen für ihre Aufnahmen viel bezahlen. Häufig seien Anteile aus Konzerteinnahmen Teils des Vertrags. „So läuft in der Regel das Geschäft“, sagt Szenekenner John Anderson.

Mit seinem Label Odradek Records, das die Künstler anonym auswählt, versucht er, einen Gegenentwurf zu etablieren zum Klassikbetrieb, der sich auf wenige Stars fokussiert, und auch Nischenprodukte aus Jazz und World Music anzubieten. „CDs sind ein Marketinginstrument, kein Verkaufsprodukt“, sagt Anderson.

Gut für die Außenwirkung

Auch das Freiburger Barockorchester kann mit seinen CDs in der Regel kein Geld verdienen. Häufig werden die Proben auf eigene Kosten finanziert, und das Plattenlabel harmonia mundi übernimmt die Produktionstage. Bei den meisten Verträgen gibt das Freiburger Orchester die Rechte komplett ab.

Und wenn mal eine Erlösbeteiligung ausgehandelt ist, betrage die wenige Hundert Euro im Jahr, sagt Intendant Hans-Georg Kaiser. Trotzdem seien die Einspielungen gut für die Außenwirkung und böten einen Anlass zur Berichterstattung. „Für unsere internationalen Tourneen sind unsere Aufnahmen eine wichtige PR-Maßnahme, weil sie für große Bekanntheit unseres Ensembles sorgen.“

Beim Berliner Label bastille musique wird die Compact Disc noch zelebriert: mit getackerten Hüllen aus grauem Karton und schwarzem Einlegepapier. Nichts soll ablenken von der Musik. 16 Veröffentlichungen sind seit der Gründung 2016 in enger Zusammenarbeit mit den beteiligten Künstlern entstanden. Streaming ist kein Thema.

„Wir wollen unsere Aufnahmen tatsächlich für gutes Geld verkaufen, statt für Centbruchteile quasi zu verschenken. Das ist wichtig, damit die Nahrungskette funktioniert und auch die wenigen noch bestehenden Ladengeschäfte möglichst lange überleben können“, sagt Labelgründer Sebastian Solte.

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