
© © Josef Koudelka / Josef Koudelka Foundation
Tschechische Fotografie in Chemnitz: Hinter der Stille verbirgt sich die Verzweiflung
Poesie, Melancholie und Hintersinn: Zwischen 1948 und 1968 erlebte Tschechien einen regelrechten Foto-Boom. Bis die Niederschlagung des Prager Frühlings kam.
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Haben Sie in letzter Zeit öfters an Josef Koudelka denken müssen? Ich schon, und zwar immer wieder, wenn im Kontext mit der Devastierung von Lützerath die beklemmenden Bilder von so genannter Bergbau-Folgelandschaft auftauchten. Derlei von menschlicher Willkür versehrte Landschaften bestimmen Koudelkas Fotoserie „Black Triangle“ (Schwarzes Dreieck), aufgenommen in den böhmischen Braunkohlerevieren Anfang der 1990er Jahre.
Koudelka kehrte erst damals wieder in seine Heimat Tschechien zurück, die er 1970 als politischer Exilant verlassen hatte. Ein Grund für seine Flucht war die berühmte Reportage während des Prager Frühlings 1968. Gemeinsam mit den Werken von vier weiteren tschechischen Fotograf:innen wird diese Serie derzeit in den Kunstsammlungen Chemnitz gezeigt.
Die Ausstellung „Zwischen Avantgarde und Repression“ bildet den fotokünstlerischen Aufschwung ab, den Koudelka und seine Kolleg:innen zwischen 1948 und 1968 in der ČSSR anzettelten. Es ist eine sehr stille Schau – wie von einem Grauschleier überzogen. Diese Stimmung liegt nicht nur an der Ausschließlichkeit des Schwarzweiß oder der konservatorisch gedimmten Beleuchtung.
Vielmehr hat die Stille genauso mit den überwiegend unspektakulären, kaum inszenierten Motiven zu tun. Jan Svoboda (1934-1990) etwa, der von sich selbst sagte „Ich bin kein Fotograf.“, scheint mit seinen Stillleben aus Atelier und Alltag über die Vergeblichkeit von Bildern philosophiert zu haben.
Dabei wird sein „Porträt“ von Brennesseln (Kopřivy, 1960) fast zu einer Ikone im Sinne von Dürers „Rasenstück“. Seinem skizzenhaften Blickwinkel angemessen, montierte Svoboda die Bilder am liebsten auf Hartfaser und hängte sie rahmenlos in den Raum.

© © Gábina Fárová
Die Ästhetik einer gewissen Ärmlichkeit oder zumindest von Selbstgenügsamkeit setzt sich in den Werken von Josef Sudek (1896-1976) fort. Dessen „Traumerinnerungen“ (Vzpomínky Snů, 1959) führen in einen geheimnisvollen, unter der Prager Burg gelegenen Garten, der sich wie eine poetische Metapher für Weltflucht ausnimmt.
Bei aller Poesie und Melancholie, die Sudeks Aufnahmen ausmachen: Hier sind häufig Humor und Hintersinn am Werk. So wendet dem Betrachter ein, im (schwarzweißen) Grünen sitzender Herr den Rücken zu, seine Brille am Hinterkopf befestigt. Das Sehen hat für ihn indes ein knorriger Baumstamm übernommen, der zu diesem Zweck ein Glasauge trägt.
Fast noch mehr einem surrealistischen Geist verpflichtet als jenes von Sudek, wirkt das Werk von Emila Medková (1928-1985). Kein Wunder, gehörte sie doch ab 1951 dem Zirkel der Prager Surrealisten an, die das Erbe des genialen Karel Teige pflegten.
Medková irritierte die Zeitgenoss:innen schon 1948, als sie begann künstliche Augen oder Eierbecher mit Naturrelikten zu kombinieren. Angesichts ihrer frühen Experimente darf man spekulieren, wie sehr diese einen jungen Filmemacher namens Jan Švankmajer inspiriert haben mögen.
Auch die Belebung des Unbelebten oder die Vermenschlichung von Dingen wie sie Vilém Reichmann (1908-1991), aus Brünn gebürtig, betrieb, beruft sich auf den Surrealismus. Er passte dessen Bildsprache der desolaten Nachkriegssituation an und war stets zufälligen menschlichen Spuren oder Formen auf den Fersen. Dabei fand Reichmann seine Motive nicht nur in der zerstörten Heimatstadt, sondern – vergleichbar mit Medková, Sudek und Svoboda – ebenso in der Natur als einem Refugium.
Und lange bevor Josef Koudelka die so schweigsame wie verletzte Natur Nordböhmens analysierte, war er im Chaos des Prager Stadtraums aktiv. Seine Bildfolge vom Einmarsch sowjetischer Truppen, von der brutalen Niederschlagung des Prager Frühlings im August 1968 setzt den Schlusspunkt der Ausstellung – dramaturgisch klug gelöst von Kurator Philipp Freytag. Denn diese Szenen voller Zorn und Ohnmacht sind alles andere als still.
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