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Kultur: Über Listen

Vermutlich ist Nick Hornbys Roman „High Fidelity“ an allem schuld. Was war das doch damals, Mitte der neunziger Jahre, für eine Offenbarung, als man bei Hornby lesen konnte, wie dessen Held Rob Fleming und seine beiden schlurfigen Freunde Barry und Dick sich ihre Zeit mit dem Erstellen von Listen vertrieben!

Vermutlich ist Nick Hornbys Roman „High Fidelity“ an allem schuld. Was war das doch damals, Mitte der neunziger Jahre, für eine Offenbarung, als man bei Hornby lesen konnte, wie dessen Held Rob Fleming und seine beiden schlurfigen Freunde Barry und Dick sich ihre Zeit mit dem Erstellen von Listen vertrieben! Die Top fünf der besten Filme aller Zeiten, die Top fünf der wütendsten Elvis-Costello-Songs, der spinnwebrigsten Simple-Minds-Hitsingles, die Top fünf der schönsten Verflossenen vor dem offiziellen Eintritt ins Erwachsenenalter – Rob, Barry und Dick packten jedes noch so entfernte Lieblingsthema in Listen und machten es sich so erklärbar. Das Prinzip Hitparade als Ordnungssystem, als Welterklärmodell – Hornbys Helden konnten noch Kind bleiben, das mit dem Erwachsensein anderen überlassen, mit den Listen der Unbill des Lebens, die sich ja trotzdem einstellte, die Stirn bieten.

Und seitdem haben wir den Salat. Seit Hornby gibt es Listen über Listen, in jedem Printerzeugnis, jeder Show, jeder Website, kein Thema ist abwegig genug, um nicht für eine stramme 10er- oder 20erListe herzuhalten. Was natürlich immer zu der Zeit am meisten auffällt, da das Listenwesen gewissermaßen zu sich selbst kommt, zum Jahreswechsel. Hier eine kurze Liste der querschnittigsten Listen: Die 100 schönsten Deutschen aller Zeiten präsentierte die „Bild“–Zeitung, schön präfeministisch an zwei Tagen aufgeteilt in Weiblein und Männlein. Das Berliner Stadtmagazin „tip“ wollte wieder einmal nicht von seiner Liste mit den 100 peinlichsten Berlinern lassen (und müsste inzwischen die eigene Liste dazuzählen, so ausgelaugt wirkt diese Liste inzwischen). Und auch in den Musik- oder Popkulturmagazinen ist wieder Jahresendbestenlistenzeit, da wählen dann „Spex“-Leser Jonathan Franzens „Freiheit“ zum Buch des Jahres und beweisen damit, dass sie schon lange nicht mehr ganz vorn und ganz anders sein wollen.

Trotzdem: Listen geben einen Überblick. Mit Listen lassen sich die Unwägbarkeiten des Lebens am besten in den Griff bekommen. Und ist es nicht so, dass die Unwägbarkeiten des Lebens seit Jahren noch unwägbarer geworden sind? Dass das Leben, die Zeit und überhaupt alles immer unübersichtlicher werden? Tatsächlich sind Listen inzwischen nicht mehr nur der reine Spaß, sondern transportieren ihre Überflüssigkeit gleich mit.

Doch wie sähe das Leben aus, wenn es plötzlich keine Listen mehr gäbe? 1. Traurig. 2. Nass. 3. Gefährlich. 4. Langweilig. 5. Bleich. 6. Laut. 7. Durcheinander. 8. Öde. 9. Schwingungsarm. 10. Tot. Wollen wir das wirklich?

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