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Literatur: Umberto Ecos düstere Analyse

Das neue Buch von Umberto Eco kann als leidenschaftlicher Appell für ein geschichtsbewusstes Denken und Handeln in Europa gelesen werden. Für Eco befindet sich die Welt auf einem Rückweg in scheinbar überholte Epochen.

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Washington - Der italienische Philosophie-Professor und Bestsellerautor ("Der Name der Rose") liefert mit seiner eher düsteren Analyse "Im Krebsgang voran" einen Beleg dafür, wie sehr die Meinungen der europäischen Intellektuellen in den zentralen Fragen des 21. Jahrhunderts auseinander driften.

Die Gegensätze scheinen schon fast wieder so krass wie in den Zeiten des Kalten Krieges, als sich "bürgerliche" und marxistische Schriftsteller, Künstler und Wissenschaftler gegenüber standen. Heute allerdings geht der Streit nicht um die Zukunft von Kapitalismus und Demokratie, sondern um den "Kampf der Kulturen", die islamische Herausforderung der abendländischen Welt. Während Autoren wie Leon de Winter, Hans-Magnus Enzensberger oder André Glucksmann in ihren jüngsten Büchern vor einer wachsenden Bedrohung westlicher Werte und Kultur von außen warnen, sehen Schriftsteller wie der Brite John le Carré, der deutsche Nobelpreisträger Günter Grass oder eben Umberto Eco vor allem selbst geschaffene Gefahren für die freie Welt.

Der Italiener selbst hat dem Sammelband von Artikeln und Essays über Politik, Geschichte und Medien den Leitgedanken des "Krebsgangs" gegeben. Denn für Eco befindet sich die Welt auf einem Rückweg in scheinbar überholte Epochen: Kriege würden wieder akzeptable Mittel der Politik, der Konflikt zwischen Christentum und Islam gewinne an Gewicht und die Erkenntnisse Darwins würden erneut von christlichen Fundamentalisten in Frage gestellt. Antisemitismus und das "Gespenst der gelben Gefahr" seien wieder aktuell. Schließlich erinnert Eco die wachsende Zahl dunkelhäutiger Menschen aus der Dritten Welt in den Privathaushalten Europas an Zeiten des Kolonialismus.

Anklage gegen Amerika

"Finstere Zeiten" macht der "Pazifist aus Berufung" aus - und benennt Täter. Ein roter Faden der politischen Aufsätze ist die Anklage gegen Amerika. Beeindruckend früh sagte Eco voraus, wie die USA im Irak angesichts von Fehleinschätzungen, insbesondere aber der Ignoranz gegenüber der fremden Kultur, scheitern würden. "Das einzige greifbare Resultat des Krieges sind die Scharen freiwilliger Kamikaze-Krieger, die sich aus Ägypten, Syrien und Saudi-Arabien nach Bagdad auf den Weg gemacht haben... Es scheint, dass dort ethnische und religiöse Hassgefühle aufbrechen, die sich schwer steuern lassen und sehr gefährlich für das Gleichgewicht im ganzen Vorderen Orient werden könnten", schrieb Eco weitsichtig 2003.

Vor allem in den USA des Präsidenten George W. Bush sieht Eco eine gefährliche Politik ohne den Rückhalt bei den vielen "klugen Köpfen" in den Universitäten des Landes. Statt Generäle hätte Bush besser Kulturanthropologen befragen sollen. Und Eco fürchtet das Vorbild: "Der Geschichtsverlust, ein typisches Krankheitsbild in den USA, breitet sich leider auch immer stärker unter den jungen Europäern aus", klagte er kürzlich im Magazin "Cicero".

Toleranz gegenüber den Intoleranten

Weit weniger eindeutig ist Eco aber, wenn es um aktuelle Kulturkonflikte in Europa geht. Vehement stemmt sich der Autor gegen jeden Fundamentalismus, den er auch bei Europäern im Umgang mit islamischen Immigranten sieht. Eco will "Verhandlungen" statt des Beharrens auf Prinzipien. So verteidigt er die Entscheidung eines Gymnasiums in Mailand, wo auf Wunsch ägyptischer Eltern eine rein muslimische Klasse gebildet wurde. Das sei zwar kein Ideal, aber immer noch besser, als die Kinder gar nicht zur Schule, zurück nach Ägypten oder in eine muslimische Privatschule zu schicken.

Kompromisse seien wichtig, weil "manchmal das Beste der Feind des Guten ist", philosophiert der Autor, der sich immer wieder für Toleranz auch gegenüber den Intoleranten ausspricht. Auch beim Thema "Beschneidung" islamischer Mädchen aus Afrika in Europa, wobei es um die genitale Verstümmelung und nicht etwa um einen harmlosen Kult geht, sei "die Debatte" (über Toleranz) eröffnet, schreibt der Gelehrte. Dann verweist er auf das offenbar diskutable Argument, die Mädchen medizinisch einwandfrei von den Gesundheitsbehörden beschneiden zu lassen. Es ist wenig verwunderlich, dass über solche Themen die Kluft der Ansichten tiefer wird. (Von Laszlo Trankovits, dpa)

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