
© Charlotte Krusche/S. Fischer
"Unsere anarchistischen Herzen" von Lisa Krusche: Sich so durch die Tage wischen
Ich möchte Teil einer Jugendbewegung sein: Lisa Krusches Generation-Z-Roman "Unsere anarchistischen Herzen".
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Die Generation Z, also die Generation der in den neunziger und nuller Jahren geborenen jungen Menschen, muss der Punk-Slogan „No Future“ ihrer Elterngeneration wie bittere Ironie klingen: Ging es damals um fehlende berufliche Perspektiven und naive Fortschrittsgläubigkeit, steht heute das Überleben der Menschheit und das des gesamten Planeten auf dem Spiel.
Oder so wie es Charles, eine der beiden Ich-Erzählerinnen und Generation-Z-Angehörigen in Lisa Krusches Debütroman „Unsere anarchistischen Herzen“ ausdrückt „Wir fühlten uns dem Weltlauf auf zweifelhafte Weise ausgesetzt und eben so, als wären uns drei Herzen gebrochen worden.“
Die drei Herzen sind eine Anspielung auf die erstaunliche Anatomie von Oktopoden, und diese wiederum auf das „tentakuläre Denken“ der feministischen Naturwissenschaftshistorikerin Donna Haraway, auf die sich Lisa Krusche wiederholt bezieht. Beim Ingeborg-Bachmann-Wettbewerb 2020 las Krusche einen virtuos konstruierten und zugleich überaus sinnlichen Text, der sich als direkter Spin-Off der symbiontischen, tentakulären Praxen bei Haraway verstehen lässt (Und der dann in Klagenfurt zurecht auch mit dem Deutschlandfunkpreis ausgezeichnet wurde).
In ihrem jüngst erschienenen Roman verstecken sich solche Ideen eher unprätentiös zwischen den Zeilen.
Lockere, teils jugendbuchhafte Sprache
So umgibt sich die etwa 17-jährige Charles, die von ihrer Heimat Berlin in eine Hippie-Kommune bei Hildesheim verpflanzt wird, mit diversen nicht-menschlichen Gefährten: einem Stoff-Oktopus, einer Bananenpflanze, einem weißen Pony, und schließlich einem Hund, auf den sie temporär aufpassen soll.
Liest man dies als Versuch, sich abseits ihrer labilen Eltern – ein narzisstischer Künstler, der mehr und mehr in seiner Schaffenskrise versinkt, und eine Esoterikerin, die im Garten „einen Auffangbereich für das Licht“ plant, bevor sie ganz von der Bildfläche verschwindet – eine Ersatzfamilie zu schaffen, ist das ziemlich traurig.
Zugleich jedoch eröffnet die Vorstellung, wie es wäre, mit drei Herzen zu leben wie ein Oktopus, ganz neue Möglichkeiten: „Körperbilder würden kippen. Unser Verhältnis zur Umgebung shiften.“ Bei solchen Einsprengseln bleibt es dann allerdings auch – für diejenigen, die Haraway nicht gelesen haben, springt der Funke nicht unbedingt über.
Die lockere, teils jugendbuchhafte Sprache, das Zuckrig-Klebrige, mit dem die 1990 in Hildesheim geborene Autorin ihren Plot überzieht, ist Fluch und Segen zugleich. Ein Segen ab dem Moment, da sich die Erzählerinnen, Gwen und Charles begegnen und eine im besten Sinne beziehungsanarchistische Freundschaft beginnen, die mindestens genauso wichtig, wenn nicht wichtiger sein wird als ihre Verbindung zur Herkunftsfamilie, romantische Schwärmereien oder erste sexuelle Erfahrungen.
Schlaglichtartige Kurzkapitel
Ein Problem nur ist, dass der Roman sich rund hundert Seiten zu lange Zeit lässt, um Gwen und Charles endlich aufeinander treffen zu lassen. Bis dahin werden die unterschiedlichen Lebenswelten der jungen Frauen en détail beschrieben: Sehr einfühlsam, wenn auch manchmal etwas zu plakativ, um das jeweils intendierte Gefühl auch ja rüberzubringen – definitiv aber zu ausschweifend.
In schlaglichtartigen Kurzkapiteln sprechen die Erzählerinnen abwechselnd, wobei Gwen als Antithese (oder aber Komplementärfigur) zu Charles fungiert: Wohnhaft in einem Designer-Kubus, an dessen Seiten ein künstlicher Wasserfall hinabrinnt, geschlagen mit dem zweifelhaften Privileg superreicher, emotional jedoch völlig unzulänglicher Eltern, die ihre Schuldgefühle mit der Verachtung für all diejenigen maskieren, die „von denen nehmen, die hart gearbeitet haben für das, was sie sich leisten können“.
Um ihrem luxuriösen Elend zu entkommen, verabredet sich Gwen über Rumblr zu Schlägereien, oder über Tinder mit älteren Männern, um denen beim Sex das Geld aus der Tasche zu ziehen und es dann für gute Zwecke zu spenden. „Ich wische mich so durch die Dinge“ beschreibt ziemlich akkurat sowohl die Überstimulation als auch die Abwesenheit von Inhalt, mit denen sie ihre Tage und die eigene Leere füllt.
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Dabei fließen, ganz zeitgemäß, innere Monologe, Chatverläufe und Twitter-Aphorismen ineinander – wie etwa die surreal-spröde Kurzlyrik („etwas in mir drin zerfällt wie brennendes papier in der luft“), mit der Gwen ihrem Ennui Luft macht, denn: „Es gibt niemanden, dem ich davon erzählen kann“.
Das ändert sich erst, als die Außenseiterinnen einander begegnen: „Hier im Kreis des Vertrauens darf man alles sagen und alles fühlen“, verspricht Charles ihrer neuen Freundin – so kitschig, so banal, und gleichzeitig so wahrhaftig und wichtig, dass Gwens harte Schale tatsächlich Risse bekommt.
Zum ersten Mal offenbart sie ihre Verletzlichkeit und lernt zugleich ihre Wut produktiv zu kanalisieren: „realtalk wir verschwenden unsere zeit mit dem denken der anderen denen wir erklären warum wir es wert sind gut behandelt zu werden.“
Ich möchte Teil einer Wahlfamilie sein
So stilsicher Krusche den Teenie-Jargon beherrscht, so smooth sie zwischen analog und digital zu wechseln vermag, so deplatziert wirken bisweilen die auf Effekt getunten Meta-Reflexionen aus den Mündern von 17-Jährigen: „In echt ist Ironie doch nie besonders witzig, sondern nur ein verbittertes Versteck für das Ungesagte“, sinniert Gwen an einer Stelle, an einer anderen: „Meine Abgefucktheit soll Distinktion sein, aber ich bin einfach nur abgefuckt.“
Wenn zwischen Tanz-Smileys und Kackhaufen-Emojis plötzlich die Rede ist von „dieser geisteskranken Differenz zwischen den eigenen Fragen und denen der Rezipienten“ oder von „Gewaltexzessen, die sich in die Landschaft eingeschrieben haben“, spricht daraus wohl doch eher die 30-jährige Kunstwissenschaftlerin.
Trotz dieser kleinen Irritationsmomente schafft es Krusche in der zweiten Buchhälfte, die Geschichte einer Beziehung abseits gängiger Mädchenfreundschaft-Klischees zu erzählen, die berührt und zugleich voller Humor und Fantasie steckt. In ihrer prosaischen Sinnlichkeit preisen Charles und Gwen die Qualitäten von Lycheesaft und Melonenkaugummis, die Weichheit einer Ponyschnauze, einen heißen Sommertag am Fluss – und wie wunderbar es sich anfühlen kann, Teil einer Wahlfamilie zu sein, wird „ahnbar und cool“.
Anja Kümmel
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