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Kultur: Verehrung, Verachtung

Um die Jahrhundertwende schwankte das Frauenbild zwischen zwei Extremen: Engel und Dirne.Aus Enttäuschung konnte sich das Ideal schnell in ein Schreckensbild verwandeln, Béla Bartók war hier kein Einzelfall.

Um die Jahrhundertwende schwankte das Frauenbild zwischen zwei Extremen: Engel und Dirne.Aus Enttäuschung konnte sich das Ideal schnell in ein Schreckensbild verwandeln, Béla Bartók war hier kein Einzelfall.Seine unglückliche Liebe zu der jungen Geigerin Stefi Geyer schlug von Verehrung in Verachtung um.In den Deux Portraits op.5 zeichnete er diese Frau aus entgegengesetzten Perspektiven.Das erste Porträt, das als zarter Dialog zwischen dem Solisten Kolja Blacher und Daniel Stabrawa begann, ist eine Melodie von idealer Ruhe und Reinheit.Kolja Blacher steigerte das Sakrale dieser Musik ins Leidenschaftliche.In nicht minder eindringlicher Wiedergabe stand dem Ideal die groteske Verzerrung gegenüber, wobei grelle Klarinettentöne (Walter Seyfarth) für Unruhe sorgten.

Ein direkter Weg führt von der Groteske zur Ballettsuite "Der wunderbare Mandarin", die Bartók im Jahre 1919 schuf.Sein gewandeltes Frauenbild brachte ihn hier zur Idealisierung einer Dirne.Sie ist der menschlichste Teil in einer vom Komponisten als mörderisch dargestellten Großstadt.In der Polarität Land-Großstadt setzt sich somit der Gegensatz Engel-Dirne gesteigert fort.Den "Höllenlärm" der Metropole hat Bartók mit einem Realismus auskomponiert, wie er bis dahin unbekannt war.Der für Bernhard Haitink eingesprungene Ivan Fischer, der eine Gesamtaufnahme des Bartókschen Orchesterwerks vorbereitet, scheint jede Faser dieser Partitur zu kennen.Ihm verdankte sich eine aufpeitschende, flexible Wiedergabe, in der Dissonanzen, deklamierende Klarinettensoli und laszive Verführungstänze zugleich Ausdruck einer leidenden Seele waren.

Gegenüber der sich zuspitzenden Ausdrucksschärfe in den Bartók-Werken könnte das B-Dur-Klavierkonzert von Brahms als Rückkehr zur "reinen" Form aufgefaßt werden.Ivan Fischer und sein ungarischer Landsmann Andras Schiff akzentuierten statt der Kontraste das Gemeinsame.Mit grimmiger Energie meißelte Schiff schon im ersten Klaviersolo fallende Halbtonschritte heraus, in der drängenden Unruhe vom Philharmonischen Orchester unterstützt.Manchmal ließ die Wucht der Klavierbässe die Hörer zusammenzucken.Nach dem Allegro appassionato, brachte das Andante die Wende ins Ruhevolle.Auf das Cellosolo Martin Löhrs, bei aller Tonschönheit eine Spur zu strahlend, antwortete Schiff mit meditativer Innigkeit, fortgeführt vom traumhaften dolcissimo der Klarinetten.Nach dieser Reinigung der Gefühle dominierte im Finale tänzerische Eleganz.Der vitale, wachsame Dirigent arbeitete die Rhythmik markant heraus, ohne den ungarischen Tänzen Übergewicht zu geben.

ALBRECHT DÜMLING

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