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Kultur: Vom Leben gezeichnet

Die Gorillaz sind eine Cartoon-Band – und trotzdem fünfmal für den Grammy nominiert, der am Mittwoch verliehen wird

An einem Nachmittag im Frühjahr 1995 kletterte Damon Albarn in ein Taxi und ließ sich nach Westminster fahren. Er war verabredet. Auf den Sänger der britischen Rockband Blur warteten drei Schlüsselfiguren der Labour-Partei, darunter Tony Blair, der als nächster Premierminister gehandelt wurde. „So“, eröffnete dieser das Gespräch, „was tut sich in der Szene?“ Es war ein informelles Treffen, nach dem Albarn mit einer Flasche von Houses-of-Parlament- Gin wieder in ein Taxi stolperte.

Trotzdem stellt der englische Journalist John Harris diese Szene an den Anfang seiner exzellenten Britpop-Chronik „The Last Party“. Denn Albarn schloss einen Teufelspakt. Mit ihm, der Galionsfigur, dessen Band kurz zuvor mit dem Album „ Parklife“ die Britpop-Welle losgetreten hatte, wollten die Wahlkampfstrategen um Blair ein Bündnis schmieden. Politik sollte sexy sein und die alten ideologischen Gräben überwinden. Etwas, das sich auch Albarn erhoffte, der wenig Sympathie für die eng gefassten Verhaltensregeln der Indie-Kultur aufbrachte. Doch zeigte die Politikerrunde Harris zufolge wenige Zutrauen in die Loyalität des Musikers: „Was, wenn Sie umkippen und behaupten, ,Tony ist ein Wichser‘ “, fragte einer. Das werde niemals geschehen, versicherte Albarn. Erst 1998, als Blair sämtliche Ideen aufgegeben hat, für die er gewählt worden war, fühlte sich Albarn an sein Versprechen nicht mehr gebunden. In den Augen vieler war er da schon, wie die „Spex“ höhnte, „der Typ, der an der Tür von Downing Street No. 10 darum gebettelt hatte, nach Strich und Faden verarscht zu werden“.

Obwohl Blur noch eine ganze Reihe toller, erhebender Platten aufnahmen, begann ihr Stern zu sinken. Sie hat das Versprechen nicht erfüllt, die Integrität der Subkultur mit dem Kommerz zu versöhnen. Wenn am Mittwoch in Los Angeles die Grammys verliehen werden, dürfte Damon Albarn eine zweite Chance erhalten. Mit fünf Nominierungen zählt seine Zweitband Gorillaz zu den heißesten Anwärtern auf den Pop-Thron. Sie wird sogar gemeinsam mit Madonna vor dem Award- Publikum auftreten. Das ist allerdings vor allem eine technische Sensation.

Denn die Band gibt es gar nicht. Jedenfalls nicht im üblichen Sinne. Die Gorillaz sind vier Comic-Figuren im Manga-Stil, die sich Albarn und sein einstiger Mitbewohner, der „Tank-Girl“-Schöpfer Jamie Hewlett 1999 ausgedacht haben. Murdoc, der Bassist, ähnelt seinem Erfinder denn auch kein bisschen, mit seinem düsteren Blick, der Boxernase und dem mächtigen, trotzig ragenden Unterkiefer. Sänger 2-D ist in seiner abgemagerten Aggressivität seinem Alter Ego Albarn ebenso wenig nachempfunden. Die Gruppe, die durch Russel, den bulligen, kahlköpfigen Drummer, sowie Noodles, eine japanischen Krawall-Göre, die so groß wie ihre E-Gitarre ist, komplettiert wird, hat bereits zwei Alben produziert und dank eines Werbe-Jingle-Hits wie „Clint Eastwood“ über zehn Millionen verkauft. Nicht schlecht für einen Rockmusiker, der im Verbund mit Hip-Hop-Produzenten ein kurioses Stil-Amalgam aus Pop, Reggae, Retro-Sounds und Rock zusammenbraut, ohne einer Richtung den Vorzug zu geben.

Zuletzt erschien mit „Demon Days“ (EMI) ein düsterer, stimmungsvoller Seelentrip, bei dem Neneh Cherry, Ike Turner, Roots Manuva und De La Soul mitwirkten, allesamt Protagonisten eines vergangenen Jahrzehnts, was den „New Yorker“ von Albarns „katholischem Geschmack“ sprechen ließ. Tatsächlich ist auch dieses Album, das allein in den USA 1,6 Millionen Käufer fand, ein musikalischer Abenteuerspielplatz. Mit „Feel Good Inc.“ verfügt es wieder über einen veritablen Hit, der Albarns Gespür für einfache Melodien untermauert. Gleichzeitig zeigen die Kinderchöre, Streicher, quietschenden Achtziger-Sounds und Rap-Kaskaden, dass der Engländer ein grandioser Ikonoklast ist.

„Die Idee der Gorillaz ist“, erklärt er, „dass man für Musik kein Bild braucht.“ Schon vor Hewlett/Albarns Fake-Band wurde versucht, der Oberflächlichkeit des Pop dadurch zu begegnen, dass die Akteure sich weigerten, als Repräsentanten zu fungieren. So ließen sich Kraftwerk in einem Akt der subversiven Affirmation durch Maschinen vertreten, die Glamrocker von Kiss verbargen sich hinter futuristischen Kostümen und Glitter-Make- up, und mit den Puppetmastaz entstand in Berlin die erste Hip-Hop-Band aus Pappmaché. Albarn stellt seine Kreation in der Tradition der commedia dell’arte. Die Maskierung erlaube ihm eine künstlerische Freiheit, die er als Rock-Promi längst verloren habe. Der 37-Jährige hat seine Schlüsse aus dem Downing-Street- Debakel gezogen: Sei ein Scharlatan! Mach dich nicht haftbar! Und so gibt Albarn den Verführungsstrategien des Pop etwas von der Intelligenz und der Kreativität zurü ck, die sie auch nicht durch ein noch so energisches Rock’n’Roll-Revival wiedergewinnen kann.

Sich auf die Gorillaz einzulassen, heißt, sich in einer verschachtelten Trickwelt zu verirren. Unter www.gorillaz. com betritt man den fiktiven Studiokomplex des Quartetts, in dem jeder ein eigenes Zimmer hat, die Videos angeschaut und Shooter- Spiele gemeistert werden können. In der Küche begegnet man einem Eisbären, der davon berichtet, eines Tages aufgewacht zu sein mit den Genitalien von Lenny Kravitz im Gesicht. Derlei Witze können sich nur Wesen leisten, die keinen Anwalt brauchen.

Trotz der das Pop-Business und den Star-Kult karikierenden Intention verwahrt sich Albarn davor, das Unternehmen als ironische Spaßveranstaltung zu lesen. Vielmehr würde es Ideale am Leben erhalten, mit denen er einmal angetreten sei, die Welt zu verändern, sagt er, bevor der Blur-Hype ihn zum „durchgeknallten Arsch“ gemacht habe. So ist der mäandernde Gorillaz-Pop die Antwort auf ein entzaubertes Digitalzeitalter, das Alben sofort zerschnipselt und in Mp3-Listen verschwinden lässt. Wir sollen träumen, aber die Botschaft lautet: „You can’t even trust the air you breath.“ Es ist zutiefst verstörend, sich für etwas zu begeistern, das weniger als Luft ist.

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