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SWR Sinfonieorchester Baden Baden und Freiburg.

© Klaus Polkowski

SWR Orchester beim Musikfest Berlin: Vorwärts, Richtung Moderne

François-Xavier Roth entlockt dem SWR Orchester beim Musikfest Berlin mit Arnold Schönberg rauschhafte Klänge und macht klar, wohin diese Musik letztlich will.

Das Ohr hört: sechs grauenhaft verstimmte Flügel. Das Hirn aber weiß: Es muss so sein. Denn Klaus Steffes-Holländer, Matan Porat, Julia Vogelsänger, Florian Hoelscher, Akiko Okabe und Christoph Grund spielen beim Musikfest Berlin am Montag in der Philharmonie Iwan Wyschnegradskys „Arc-en-ciel“. Anfang der 1950er Jahre imaginierte sich der in Paris lebende Exilrusse einen „Ultrachromatismus“, bei dem die Oktave nicht wie gewohnt in 12, sondern in 72 Tonschritte unterteilt ist. Dass er die Komposition auf ein halbes Dutzend Instrumente verteilte, war dabei nur eine Notlösung: Sein Ideal wäre ein Piano mit über 500 Tasten gewesen.

1986 hat Georg Friedrich Haas die sehr verspätete Uraufführung dieser Versuchsanordnung von eher mathematischem Interesse geleitet und sich davon gleich zu einem eigenen Werk mit sechs im Zwölfteltonabstand gestimmten Klavieren inspirieren lassen. Atmosphärisch sehr viel raffinierter setzt er gleich zu Beginn die Solisten, wenn alle dieselben Noten spielen, sodass schillernde Reibungseffekte entstehen. Im weiteren Verlauf allerdings tauchen die Pianisten dann nur noch vereinzelt mit Läufen und Clustern aus der Soundwolke des Orchesters auf, die wiederholt an einen aufgeregten Bienenschwarm erinnert.

Roth leitet das SWR Orchester durch "Pelleas und Melisande"

Ganz ohne Taktstock, mit bloßen Händen und der Eloquenz seiner Körpersprache leitet Chefdirigent François-Xavier Roth das SWR Orchester Baden-Baden und Freiburg anschließend auch durch die riesenhafte sinfonische Dichtung „Pelleas und Melisande“ des jungen Arnold Schönberg. Dem erfolgreichen Kollegen Richard Strauss eiferte der 28-jährige Nachwuchskomponist hier in spätestromantischem Idiom nach.

Roth allerdings gelingt es, durch einen maximal transparent gestalteten Klang, alle Tendenzen des Stücks zum Rauschhaft-Narkotisierenden auszublenden. Damit macht er klar, wohin diese Musik letztlich will: vorwärts nämlich, in Richtung Moderne. Sehr stramm sitzen dieser klingenden Nachdichtung von Maeterlincks symbolistischem Meisterdrama die Fesseln des traditionellen Dur-Moll-Systems. Es sollte keine sechs Jahre mehr dauern, bis Arnold Schönberg sie sprengen würde.

Deutschlandradio Kultur sendet am 13.9. ab 20 Uhr einen Mitschnitt des Konzerts.

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