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Kultur: Warum flirten Sie mit dem Tod, Mr.Stone?

TAGESSPIEGEL: Sie schreiben: "Ich gehöre in ein Buch, nicht in ein Leben.Das Leben ist eine Klapsmühle.

TAGESSPIEGEL: Sie schreiben: "Ich gehöre in ein Buch, nicht in ein Leben.Das Leben ist eine Klapsmühle.Wo ist mein Platz im Leben?" Haben Sie mit diesem Buch den Platz im Leben gefunden?

OLIVER STONE: Ich habe die Arbeit an diesem Buch genossen, obwohl mich vieles in Verlegenheit gebracht hat, besonders die Offenheit in sexueller Hinsicht.Aber ich bin nun alt genug, mich allem zu stellen, weil ich aufrichtig sein möchte.Und ob man mir nun glaubt oder nicht, ich habe die schwächeren Passagen nicht gestrichen, schließlich beschönigen wir unser Leben viel zu oft.

TAGESSPIEGEL: Wo liegt in Ihrem Text die Grenze zwischen Fiktion und Autobiographie?

OLIVER STONE: Mein Buch ist durchaus ein Roman.Es ist die freie Interpretation eines Leidenswegs, zugleich aber auch die Strukturisierung und Dramatisierung einer Biographie.Vergleichbar mit meinem Film "Platoon", der mit realen Erfahrungen spielt und dennoch nach einem übergeordneten Sinn für das Tun der Protagonisten sucht.Dreißig Jahre habe ich das Manuskript mit mir herum geschleppt und erst mit fünfzig wurde mir klar, wie nahe ich diesem Text immer war.Die Sprache von damals ist erstaunlich kraftvoll, die Erkenntnisse dieses jungen Mannes bewegen mich noch immer.Denn ich habe all das überlebt.In der Rückblende sehe ich mich als 19jährigen, dessen Leben auseinanderbrach.Heimat und Geborgenheit findet nur noch in seiner Phantasie statt.

TAGESSPIEGEL: Was zog Sie damals ausgerechnet nach Vietnam?

OLIVER STONE: Ich war zutiefst deprimiert.Die Gesellschaft hatte mich krank gemacht hat, und ich verstand mich als Rebell.Deshalb ist es nur folgerichtig, daß ich nach Vietnam gegangen bin.Entweder werde ich dort getötet oder bringe mich selbst um, oder ich lerne dort etwas über das Leben, das mir bis dahin nicht beigebracht worden ist.Dieser junge Mann, der ich war, ist zutiefst verwirrt, er ist auf der Suche nach Gott.Aber er weiß nicht, wer Gott ist, und deshalb möchte er einfach nur sterben.

TAGESSPIEGEL: Wie dauerhaft war dieses Gefühl?

OLIVER STONE: Selbstmord empfand ich als Ideal, der Begriff findet sich in meinem ursprünglichen Manuskript von 1966 immer wieder.So hatte der Selbstmord keine dramaturgische Funktion, es war ein literarisches Kontinuum.Mit meiner Erfahrung als Drehbuchautor habe ich den Text neu strukturiert und ziehe Bilanz: Okay, das war dein Leben, dein junges Leben, du hast dies und das getan, sitzt nun in einem Hotelzimmer in Mexico, du willst deine Identität als Oliver Stone aufgeben, du willst ein Anonymus werden.Du willst dich selbst auslöschen.

TAGESSPIEGEL: Ihr Alter ego im Roman nennen Sie einen "Romantiker des Todes".

OLIVER STONE: Es ist nicht falsch, den Tod zu romantisieren, denn der Tod ist real.Und wenn man den Tod mit Vollkommenheit, mit dem einzig wahren Ende eines Lebens assoziiert, dann nimmt man ihm den Stachel.Man sollte den Tod betrachten, wie die Indianer es tun: Sie sagen, er ändert immer seine Gestalt.Carlos Castaneda hat mich gelehrt, daß man immer in der Lage sein muß, dem Tod zu begegnen, um ihm schon morgens zu erwidern: "Hallo, heute ist ein guter Tag zum Sterben.Ich bin bereit.Du willst mich holen? Okay gehen wir!" Man braucht ein gutes Verhältnis zum Tod, wenn man ein gutes Verhältnis zum Leben haben will.Als ich jung war, habe ich gedacht, wenn der Tod schon kommen soll, dann doch bitte als attraktive Frau in roten High Heels.

TAGESSPIEGEL: Darf man dann so fragen: Hatten Sie in Vietnam ein Rendezvous mit dem Tod?

OLIVER STONE (lacht): Ich liebe den Tod! Aber ich liebe auch den Regen, er ist so vielfältig in seinen Assoziationen.Immer wenn es regnet, halte ich inne, denke nach, denn der Regen bringt die Erinnerung an Jugend und Sex zurück.Als man mit wundervollen Frauen schlief, und es dabei regnete.Am liebsten habe ich Regen und Sex am Nachmittag.

TAGESSPIEGEL: Glauben Sie mit der Psychoanalyse daran, daß Tod und Sex die stärksten Triebe im Universum sind?

OLIVER STONE: Sex und Tod sind Bestandteile unsere Traumwelt, aber auch unserer sozialen Geschichte.Wir assoziieren Sex sowohl mit Tod als auch mit Leben.Den Orgasmus nennen die Franzosen ja "petite mort".Aber Sex ist auch ein Synonym für Geburt, die Geburt des Schwanzes, die Geburt der Vagina und natürlich die Geburt eines Kindes.In primitiven Gesellschaften sind Sex und Tod etwas vollkommen Natürliches.Nur in unserer heuchlerischen Gesellschaft errichten wir eine Barriere zwischen beidem.Für Beerdigungen geben wir Unsummen aus, und für Sex errichten wir Gefängnisse.Im Fernsehen werden uns begehrenswerte Frauen präsentiert, die wir niemals erreichen können.In Amerika steht Sex immer in Beziehung zu Käuflichkeit.Und das ist heuchlerisch, denn man kann mit niemanden umsonst schlafen.Als guter Christ muß man heiraten, um mit einer Frau zu schlafen.Also kann man eigentlich nur mit einer Frau in seinem ganzen Leben schlafen, und das hält kein Mann durch.Eine Gesellschaft die verklemmten Sex fördert, hat zwangsläufig ein Problem mit der Gewalt.Und deshalb glaube ich, daß Freud recht hat.

TAGESSPIEGEL: Welchen Stellenwert hat Sex in der asiatischen Gesellschaft?

OLIVER STONE: Dort ist Sex Bestandteil der Natur, er ist Teil der Luft, der Hitze, eben der Tropen.Die Leute dort denken und reagieren anders, man kann sie nicht so leicht aus der Ruhe bringen.Nur mit Sex kann man sie überhaupt nicht beeindrucken.

TAGESSPIEGEL: Und die Liebe? Gibt es für sie in Ihrem Leben Platz?

OLIVER STONE: Ich bin ein besessener Romantiker, der viel Zeit damit verschwendet, sich zu verlieben, immer und immer wieder.Doch die Liebe zwischen zwei Menschen stellt sich erst Jahre später ein, wenn sie 80 Kilo wiegt und er wie ein Hund neben ihr her trottet.Liebe ist eine komplizierte Angelegenheit und eben nur der Rest vom Leben.

TAGESSPIEGEL: Sind Sie ein Misanthrop?

OLIVER STONE: Als 19jähriger war ich ein tougher Typ, der nicht verstand, daß die anderen meinen Zorn nicht teilten.Und obwohl sich meine Umwelt von mir in die Enge gedrängt fühlte, fand ich leicht Freunde, was wiederum meine innere Isolation verschlimmerte.Damals wollte ich alles verändern.Aber jetzt habe ich mir einen Tritt in den Arsch gegeben.In meinem Alter sehe ich die Welt wie jeder andere als interessierter Beobachter.

TAGESSPIEGEL: Heißt das, daß Sie sich zur Ruhe setzen wollen?

OLIVER STONE: Ich möchte noch vieles verwirklichen.Ich möchte ein Buch über mein Leben als Fünfzigjähriger schreiben, um die Zeitspanne zwischen den Erfahrungen eines Neunzehnjährigen und jetzt zu schließen.Ich möchte mehr über mich selbst erfahren, über das zentrale Thema meines Lebens, meine Begierde nach Frauen, und natürlich möchte ich das alles gleichzeitig verfilmen.Ich möchte ehrlich sein, nicht um irgend etwas zu beichten, sondern nur um der geistigen Haltung meines Lebens zu entsprechen.Trotzdem: Es wird verdammt schwierig sein, dabei ehrlich zu bleiben.

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