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Doch den Tunnel unter dem Meer, den sieht man nicht. Die 26,7 Kilometer lange Brücke über die chinesische Jiazhou-Bucht verbindet die Städte Qingdao und Huangdao. Sie ist Teil der weltweit zweitlängsten Konstruktion ihrer Art.

© Getty Images(Kan Wang

Anthropozän-Debatte: Was nicht passt, wird passend gemacht

Kampf mit dem Natürlichen: Martin Meiske erforscht die Geburt des Geoengineerings.

Vor 100 Jahren hatte der Münchner Architekt Herman Sörgel einen Plan: Mit riesigen Staudämmen bei Gibraltar und den Dardanellen wollte er das Mittelmeer abriegeln und den Meeresspiegel um 200 Meter senken. Wasserkraftwerke sollten dringend benötigte Energie liefern, das gewonnene Neuland den Raum für Bevölkerungswachstum schaffen. Europa und Afrika würden zu einem Kontinent Atlantropa verwachsen, der gewappnet wäre gegen das bevölkerungsreiche Asien und das kapitalstarke Amerika.

Dass der Golfstrom umgelenkt, der Atlantik um einen Meter angehoben und die Tektonik in dem vulkanisch aktiven Gebiet mit Vesuv, Ätna und Stromboli gestört würde, nahm Sörgel in Kauf. Derlei unbeabsichtigte Nebenwirkungen menschlichen Erdzurichtungsbegehrens hatten die 1930er Jahre selten im Blick, ein Sensorium für Verschiebungen im Ökosystem gab es kaum.

Für konjunktivische Hirngespinste wie Sörgels Atlantropa-Vision interessiert sich Martin Meiske in seinem Buch über „Die Geburt des Geoengineerings“ nicht. Als Historiker mit Sinn fürs Faktische kümmert er sich ums Realisierte: spektakuläre Tunnelbauten in den Alpen, Kanaldurchstiche an den Landengen von Suez und Panama, gigantische Staumauern in North Carolina. Um Infrastrukturprojekte also, mit denen der Mensch – aufgerüstet mit fossiler Energie und industrieller Technik – seit Mitte des 19. Jahrhunderts „Correcturen an dem Erdboden“ vornimmt, wie der Pionier der deutschen Technikphilosophie Ernst Kapp formulierte.

[Martin Meiske: Die Geburt des Geoengineerings. Großbauprojekte in der Frühphase des Anthropozäns. Wallstein Verlag, Göttingen 2021. 328 S., 29,90 €.]

Die Erfahrungen mit diesen Formen des Geoengineerings – also beabsichtigten Manipulation der Umwelt in großem Maßstab –, so Meiskes Credo, können wertvoll sein in den hitzig geführten Debatten um Climate Engineering. Mit der Frage nach technischen Maßnahmen zur Reparatur von Klimawandelschäden zielt das Buch also ins Herz der Gegenwart. Woher, fragt Meiske, stammt unsere Skepsis, reflektierende Aerosolpartikel in die Stratosphäre einzubringen? Was hält uns von großflächigen Wiederaufforstungsprojekten zur Produktion von Biomasse ab, um der Atmosphäre CO2 zu entziehen?

Dialektik von Transformation und Zerstörung

Tatsächlich ist die Geschichte des Geoengineerings faszinierend. Zu besichtigen gibt es die großen Infrastrukturbaustellen am Mont-Cenis-Tunnel (1857–1871) oder am Panamakanal (1881–1914). Hier fanden mit Geologie und Ingenieurwesen zwei neue Wissensfelder zueinander. Nirgends konnten Geologen die oberen Schichten der Erde besser studieren als an Eisenbahntunnels oder Schifffahrtskanälen. Nur dass das Wissen von der Erde, wie Meiske vermerkt, just mit ihrer Transformation oder gar Zerstörung verfügbar wurde. Diese fatale Dialektik ist es, die das Buch in die Gegenwart des Anthropozäns führt.

Dieses Anthropozän hat sich aus seinem Entstehungszusammenhang in der Geologie längst gelöst. Dabei ging es dem kürzlich verstorbenen Atmosphärenforscher Paul J. Crutzen zunächst darum, dem Einfluss des Menschen auf die geologischen Gegebenheiten mit einer neuen geochronologischen Epochenbezeichnung Rechnung zu tragen. Mittlerweile ist „Anthropozän“ ein unscharfes Hochfrequenzwort. Gemeint ist meist, dass die Natur der Gestaltungsmacht des Menschen nicht als passives Objekt ausgesetzt ist, sondern eigene Handlungsmacht und Rechte besitzt. Tatsächlich eröffnet diese Perspektive neue Erkenntnisse – etwa über Pferde und Maulesel, die als tierische Technologien unerlässliche Arbeit an den Infrastrukturbaustellen leisteten.

Ins Zentrum der Problematik heutigen Geo- und Climate-Engineerings aber führen die Erdrutsche beim Bau des Panamakanals oder das Heimischwerden des Salzwasserfischs Hering in norddeutschen Flüssen und Seen, denen durch den Nord-Ostsee-Kanal Salzwasser zugeleitet wurde. Die massiven Verschiebungen in den ökologischen Systemen hätten die „Grenzen der Kontrolle und nichtintendierte Konsequenzen“ sichtbar gemacht, so Meiske, die „Komplexität und agency des Natürlichen“ sei unterschätzt worden.

Was daraus zu lernen ist? Für Meiske ist das demokratische Aushandeln aller Entscheidungen, in denen menschliche Handlungsmacht verheerend wirken kann, das Gebot der Zukunft. Exemplarisch diskutiert er die Planung von Großinfrastrukturen wie dem Fontana-Staudamm im amerikanischen Tennessee Valley im Rahmen von Roosevelts New Deal und die Regulierung des Lechs im Bayern der Nachkriegsjahre. So weit, so löblich. Aber: Braucht es dazu das begriffliche Design des Anthropozäns, das diese fleißige, ambitionierte Studie im Untertitel führt?

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Weil Meiske „Anthropozän“ kurzerhand für eine Epoche nimmt, die um 1850 beginnt, könnte man darüber nachdenken, was sie eigentlich vom Modernisierungsprozess unterscheidet. Nur dass Moderne aus Anthropozän-Perspektive nicht mehr als Geschichte von Emanzipationen erzählt wird, sondern als Geschichte der mit diesen Emanzipationen wachsenden Abhängigkeiten. Großinfrastrukturen, die Meiske nur in ihrer gebauten Materialität, kaum aber in ihrer Wirkmacht als unsichtbare Relationen versteht, könnte man zwischen menschlicher und geologischer Zeit so mit der Entdeckung der „Tiefenzeit“ in Verbindung bringen.

Täte man all das, dann bliebe die Zunft der Historiker weniger unter sich – was auch dem Nachdenken über Climate Engineering und Anthropozän zugutekäme. Dank Meiskes Buch kann die Geschichtswissenschaft nun besser wissen, worin Gefahren von Geo- und Climate Engineering lagen und liegen. Die zeitgenössische Literatur – von Jules Verne über Bernhard Kellermann bis Alfred Döblin – wusste das auf ihre Weise schon lange.

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