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Kultur: Waschfrau, dein Name sei Venus!

Frauen waren für ihn: Göttinnen. Oder: Putzhilfen.

Frauen waren für ihn: Göttinnen. Oder: Putzhilfen. Wobei es vorkam, dass eine Frau beides gleichzeitig sein konnte. Als Rembrandt um 1631 eine "Diana im Bade" radierte, zeigte er die Göttin der Jagd fernab von jeglichem mythologischen Pathos, sozusagen als Mädchen von nebenan. Sie sitzt auf einem Felsvorsprung, stemmt ihre Beine ins Wasser und blickt dem Betrachter gedankenverloren entgegen. Ihren fülligen Körper hat sie zur Seite weggedreht, akkurate Schraffuren lassen die Fettpolster an Bauch und Waden plastisch hervortreten. Man muss schon genau hingucken, um am Bildrand den Köcher mit den Pfeilen zu erkennen, die Attribute ihrer himmlischen Herkunft. So schrieb der Dichter Andries Pels schon 1681 über Rembrandt: "Wenn er eine nackte Frau malte, nahm er keine griechische Venus als Modell, sondern eine Waschfrau oder die Torfhändlerin aus einer Scheune. Schlaffe Brüste, verrenkte Hände, ja sogar die Abdrücke eines Korsetts auf dem Bauch oder der Strumpfbänder an den Beinen, alles musste getreulich abgebildet werden, um der Natur Genüge zu tun". Dieser schonungslose Realismus muss die Zeitgenossen schockiert haben. Im Alltag das Göttliche zu entdecken: Das war Rembrandts Kunst.

Um Rembrandts Leben ranken sich seit jeher Legenden, gerade in seinen Liebesbeziehungen fanden die Biografen immer wieder Stoff für den Mythos vom Künstler, der umso tiefer stürzen muss, je steiler er aufgestiegen war. Erst am Abgrund - weiß die Legende - erreicht das Genie den Gipfel. Der belgische Kunstschriftsteller Émile Verhaeren feierte 1912, übersetzt von Stefan Zweig, den späten Rembrandt: "Trotz der Zärtlichkeit seiner Geliebten, trotz der kindlichen Aufmerksamkeit seines Sohnes bedrängen ihn die Angst, die Sorgen, die Armut immer mehr. Er weiß nirgends anders mehr hin zu fliehen als in sich selbst. Seine Leiden und seine Verzweiflungen begeistern ihn zum Werk, statt ihn niedergeschlagen zu machen. Er lebt von nun ab nur für seinen Pinsel, seine Farben, seine Palette." Von einer Ausstellung mit dem Titel "Rembrandts Frauen" erwartet man mithin nicht unbedingt akribische Kunstwissenschaft, sondern eine große melodramatische Erzählung. Diese Erwartung wird von der Londoner Royal Academy entäuscht - zum Glück. Zu sehen sind knapp 100 Bilder, darunter etwa 30 Gemälde, auf denen Rembrandt Frauen dargestellt hat. Streng chronologisch in vier Sälen aufgereiht, lässt sich an diesen Bildern die Entwicklung von Rembrandts Kunst studieren. Nicht um einen hommes des femmes - ein solcher war er eher nicht - geht es hier, sondern um den Malerfürsten als Menschenbildner.

Rembrandts Frauen, das waren seine Mutter, seine Frau Saskia, das Kindermädchen Geertje Dircks und die Dienerin Hendrickje Stoffels, die seine Geliebten wurden. Seine Mutter hat Rembrandt ab 1628 - da war er 22 Jahre alt - mehrfach als steif posierende Dame in Witwentracht radiert, auch im kurz danach entstandenen "Brustbild einer alten Frau", das heute der englischen Königin gehört, wird ein Porträt der Mutter vermutet. Das Gemälde zeigt ein schmallippiges Gesicht, das strahlend aus dem samtschwarzen Hintergrund hervorsticht. Nachdem Rembrandt 1631 endgültig von Leiden nach Amsterdam übergesiedelt war, machte er sich zunächst als Porträtist einen Namen. Doch die frühen Auftragsarbeiten - in London sind Beispiele aus Wien und Maastricht zu sehen - wirken in ihrer detailgenauen Feinmalerei konventionell. In seinen jungen Jahren ist der Zeichner und Radierer Rembrandt dem Maler überlegen. Ein paar Striche genügen ihm, um eine in einem Lehnstuhl eingeschlafene Frau aufs Papier zu werfen, die Begegnung von Jupiter und Antiope radiert er als hocherotisches Kammerspiel. Mit einer Serie von großformatigen Historien-Porträts triumphiert dann ab 1633 auch der Maler: eine "Bellona" in Ritterrüstung, die prachtvoll kostümierte "Artemesia", und - gleich zwei Mal - "Flora". Die Frühlingsgöttinnen, mit Blumen in barockem Überfluss geschmückt, hängen normalerweise in der Eremitage von St. Petersburg und in der Londoner National Gallery. In der Royal Academy sind sie - eine kleine Sensation - erstmals zusammen ausgestellt.

Den Rembrandt-Mythologen - wir sind wieder bei der Legende - ging es immer darum, in seiner Kunst den Menschen zu entdecken. Die Frauen, die er malte, hat Rembrandt demnach weniger mit den Augen eines Künstlers als vielmehr mit dem Herzen eines Liebenden gesehen. Über das berühmte Edinburgher Bildnis einer "Frau im Bett" notierte Wilhelm von Bode 1892: "Man sieht auf den ersten Blick, dass dies nicht bloß der Kopf eines Modells ist, so wie diese Frau im Bett liegt, sich aufstützt und den Vorhang zur Seite zieht, als ob sie vertraute Schritte hört. Das ist eindeutig eine Frau, zu der Rembrandt eine persönliche Beziehung hat." Das Bild musste ein Porträt sein, man hat die - überraschte?, erwachende?, bettlägerige? - Dame abwechselnd für Saskia, Geertje, Hendrickje gehalten. Die Kuratoren der Londoner Ausstellung sprechen nüchtern von einer "halb entblößten Frau mit einer leicht gekräuselten Stirn" und vermuten in ihr eine Darstellung der alttestamentarischen Sarah, die in der Hochzeitsnacht ihren Bräutigam Tobias erwartet. Sie datieren das Bild ins Jahr 1645. Damals war Saskia, die Rembrandt 1634 geheiratet hatte, schon drei Jahre tot. Hendrickje, seine letzte Geliebte, trat erst 1649 als Hausangestellte in das Leben des Malers. Und von Geertje, die von 1642 bis zum Zerwürfnis 1650 mit Rembrandt unter einem Dach lebte, gibt es kein gesichertes Porträt.

Saskia und Rembrandt hatten vier Kinder, drei davon starben kurz nach der Geburt. Nur Titus, der neun Monate vor dem Tod seiner Mutter geboren wurde, überlebte. Ihr Bett wird Saskia in den letzten Jahren ihres Lebens kaum noch verlassen haben. Von Mitte der dreißiger bis Anfang der vierziger Jahre protokolliert Rembrandt ihre Passion. Er zeichnet sie handarbeitend auf der Bettkante, melancholisch grübelnd, versunken in ihrer Matrazengruft. Saskia: in Erwartung eines Kindes, in Erwartung des Todes. Es gibt eine Rötelzeichnung, auf der sie ein neugeborenes Baby im Arm hält. Die "Heilige Familie" hatte Rembrandt kurz vorher in Öl gemalt, in der Maria mit dem Kind kann man auch Saskia mit ihrem Baby erblicken.

Zu den Darstellungen der kränkelnden Ehefrau gesellen sich Szenen häuslicher Harmonie. Da sind Frauen zu sehen, die mit Kindern spielen, ihnen das Laufen beibringen, Kinder, die neugierig von Hunden beschnuppert werden. Blätter wie diese wurden schon zu Rembrandts Lebzeiten auch von Sammlern geschätzt. Im Nachlass des Malers Jan van de Cappelle (1626-1679) ist von einem Album mit 130 Zeichnungen die Rede, die "het vrouwenleven met kinderen van Rembrandt" zeigten: Das Frauenleben mit Kindern von Rembrandt. Rembrandt selber dienten die Blätter offenbar als Vorlagenfundus für seine Gemälde. 1635 zeichnete er ein trotziges Kind, das wütend mit den Armen um sich schlägt. In der Dresdener "Entführung des Ganymed" hat Rembrandt das Motiv aufgegriffen. Dort wird der Zappelphilipp von einem Adler in die Lüfte emporgezogen - und pisst in hohem Bogen auf die Erde hinab.

Im Spätwerk tritt immer wieder eine rätselhafte "dark-haired, dark-eyed woman" auf, eine Frau mit schwarzen Haaren und dunklen Augen. Rembrandt malt sie - seit Beginn der fünfziger Jahre - im Pelz auf einem Sessel thronend, in einer Tür lehnend, als "Juno". Modell oder Muse? Hinter die Identifizierung als "Hendrickje Stoffels" setzen die Londoner Kuratoren ein Fragezeichen. Hendrickje war Rembrandts letzte Lebensgefährtin. Als sie 1654 von ihm ein Kind erwartet, wird sie vor den Amsterdamer Kirchenrat zitiert und wegen "Hurerei" vom Gottesdienst ausgeschlossen. Die Stigmatisierung lässt das Paar noch enger zusammenrücken. Nach Rembrandts Konkurs 1660 gründen Hendrickje und Titus eine Kunsthandlung, machen den Maler zu ihrem Angestellten und schützen ihn so vor seinen Gläubigern. Von der barocken Lust an der Inszenierung von Oberflächen wendet sich Rembrandts Kunst ins Psychologische. Sein letztes Selbstporträt, heute in Köln, zeigt Rembrandt 1669 als lachenden Greis. Der Malerfürst in der Maske des Clowns. Fünf Jahre vorher hatte er eine imposante "Lucretia" gemalt. Mit verklärtem Blick schaut die schöne Römerin auf das Messer, das sie sich gleich in den Leib rammen wird.

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