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Kultur: Weicher werden

Rainer Moritz über Pseudo-Poesie und Softlan-Lyrik Dass Gelegenheit Diebe macht, ist dem Volksmund wohl bekannt – was andere Konsequenzen, die sich aus Gelegenheiten ergeben mögen, nicht ausschließt. Gelegenheit, das ist auch ein Zustand des Zufälligen, des Situativen, wenn man unschlüssig in den Tag blickt und auf dumme Gedanken kommt.

Rainer Moritz über

Pseudo-Poesie und Softlan-Lyrik

Dass Gelegenheit Diebe macht, ist dem Volksmund wohl bekannt – was andere Konsequenzen, die sich aus Gelegenheiten ergeben mögen, nicht ausschließt.

Gelegenheit, das ist auch ein Zustand des Zufälligen, des Situativen, wenn man unschlüssig in den Tag blickt und auf dumme Gedanken kommt. In solchen Augenblicken dichtet der Mensch gern; das Produkt dieser Eingebung heißt Gelegenheitsdichtung.

Das ist nicht neu. Wenn geboren, geheiratet, gestorben oder in die Ferne gefahren wird, lacht das Herz derjenigen, denen dergleichen widerfährt, sobald ein poetisch veranlagter Weggenosse die Ereignisse mit feinen Worten und klingenden Versen begleitet. Für umständliche literarische Formen ist bei solchen Anlässen meist wenig Raum, weshalb es seit alters der Lyrik vorbehalten war, hier die Rolle der Platzhirschin einzunehmen. Gelegenheitslyrik findet sich schon in der Antike zuhauf. In unseren Tagen hat das Genre an Renommee eingebüßt. Ihr Imageproblem hat auch mit dem Klischee zu tun, dass sich echte Lyrik nicht fremd bestimmen lasse. Deshalb gilt der Gelegenheitspoet heute oft als kunstgewerblicher Absahner.

Freilich: Manche clevere Sprachbastler wissen, dass Gelegenheiten zu nutzen sind, und haben einen Lyriksektor besetzt, in dem sich Geschäfte machen lassen. Gedichte sind zwar – jeder Buchhändler weiß es – keine leicht verkäufliche Ware, denn sie gelten, insbesondere wenn sie aus dem 20. Jahrhundert stammen, als schwer zugänglich und irgendwie dunkel. Der Bedarf an lyrischem Gefühl ist deshalb jedoch nicht gesunken, und so tummeln sich Dichter auf dem Markt, die keine sind. Ihre gedichtähnlichenHervorbringungen umkreisen menschliche Regungen, umgarnen sie mit einem lyrischen Schimmer, schmücken sie mit unkühnen Metaphern und simulieren so eine Nachdenklichkeit, die „wahre“ Gefühle feiern möchte und ihre Leser einlullt.

Zu einer Koryphäe dieser Softlan-Poesie wurde Anfang der achtziger Jahre die „Verschenktexterin“ Kristiane Allert-Wybranietz, deren millionenfach vertriebene Heftchen oft von Männern gekauft und verschenkt wurden, die ihre Partnerinnen mit überraschenden Sensibilitätsbekundungen verblüffen wollten. Allert-Wybranietz-Mehrzeiler brauchen keine Reime – da hat die Moderne ihre Zersetzungsarbeit erfolgreich verrichtet –, verteilen die Wörter nach dem Zufallsprinzip auf einzelne Zeilen und handeln von Empfindungen jedweder Art.

Mein Allert-Wybranietz-Lieblingsgedicht heißt „Zweierbeziehung“ und geht so:

Immer mehr / legen / ihre Gefühle / in die / Tiefkühltruhe. / Ob sie glauben / dadurch / die Haltbarkeit / zu verlängern?“

Die Männer, die seinerzeit Allert-Wybranietz kauften, erkannten rasch, dass sich die Wirkung ihres Wesens auf das weibliche Geschlecht noch ausbauen lässt, wenn sie diese empfindsame Lyrik nicht nur verschenken, sondern selbst verfassen. Das wiederum brachte Gelegenheitsschmeichler wie Jörg Pfennig hervor, der stoßweise Liebesverse von sich gab. Einer seiner begeisterten Leser fasste die Leseeindrücke beim Internetbuchhändler amazon so zusammen: „Dieses Buch war das erste Gedichtband, was ich richtig gelesen haben.“ (sic!) Das ist gut formuliert und bringt uns auf Pfennigs legitimen Nachfolger Hans Kruppa, der mittlerweile mindestens 50 Bände von sich gegeben hat und natürlich über eine eigene Homepage verfügt ( www.hans-kruppa.de ;).

Kruppa, der aussieht, als sei er mit dem Schlagersänger Wolfgang Petry oder zumindest mit dem österreichischen Gesangsduo Waterloo & Robinson verwandt, wurde früh schöpferisch tätig. Keiner wusste dies zu verhindern, und so erscheinen Kruppas Publikationen seitdem unaufhörlich. Schön ist zum Beispiel sein Bändchen „Für immer du“, das – wer hätte es gedacht – Liebesgedichte vereint. Obwohl Kruppa auch großen Gefallen am (Selber-)Fotografieren findet (Sonnenuntergänge, Blumenwiesen und so), ist das Buchcover rein typografisch gestaltet: goldene Lettern auf einem wattierten Einband, der wie roter Samt aussehen soll und sich anfühlt wie eine Badehose aus sehr unnatürlichem Material.

Über Kruppas Verse selbst muss nicht viel gesagt werden. Sie stehen unverkennbar in der Tradition der mächtigen Allert-Wybranietz und klingen keinen Deut anders:

Du sagst / du möchtest weicher werden, / du seist zu hart geworden / in der letzten Zeit. // Hoffentlich nicht zu hart. // Sonst kann ich nicht / so weich sein, / wie ich sein kann.

Dass sich das wie geschnitten Brot verkauft, leuchtet ein. Weiche Männer, die gruselig dichten – ob das die Frauen wirklich gewollt haben? Darauf einen (frühen) Wondratschek.

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