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Gegenüberstellung. Zwei Bilder der Serie „Crying Woman“.

© Stefan Korte

Frauendarstellungen von Anne Collier: Weine, wenn du kannst

Weinende Frauen in der Kunst entstammen einer männlichen Tradition. Anne Collier ergründet das Motiv in einer Ausstellung in der Galerie Neu.

In der Galerie Neu sieht man aktuell zahlreiche Comic-Frauen weinen. Weshalb die Tränen dieser vielen Charaktere rollen, weiß man nicht. Denn die Bilder sind von der amerikanischen Künstlerin Anne Collier aus dem Kontext genommen: In ihrer Serie „Crying Woman“ fängt sie Ausschnitte bereits existierender Abbildungen weinender Frauen fotografisch ein.

Nach Vinyl-Covern, die Collier ebenfalls nutzte, führt sie ihre Serie nun auf abstraktere Weise mit Comics weiter. Die 1970 in Los Angeles geborene, heute in New York lebende Künstlerin fokussiert dafür ausschließlich auf Details von Titelbildern sogenannter Romance-Comics aus den fünfziger bis siebziger Jahren. Meist sind das Augenpartien oder einzelne Tränen, die als sichtbares Gefühl die Ausstellung dominieren. Die Künstlerin fotografierte sie mit einer analogen Kamera ab.

[Galerie Neu, Linienstr. 119 abc; bis 2. November, Di–Sa 11–18 Uhr]

Weinende Frauen sieht man in der Kunst oft – doch wurde diese Tradition in der Moderne von Männern etabliert. Bei Colliers Frauen könnte man deshalb an Picassos berühmtes Gemälde „Weinende Frau“ oder Roy Lichtenstein denken, der seine Weinenden oft als girls bezeichnete.

Trotzdem kann man Colliers Fotografien nicht damit vergleichen. Die Künstlerin nähert sich ihren Motiven anthropologisch und geht ganz anders mit dem Bild der Frau um. Allein anhand der abfotografierten Details bekommt man etwa eine Ahnung vom konservativen Milieu der Comics.

Es existieren bei den Charakteren ausschließlich helle Hauttöne und blaue Augen. Deshalb sticht unnatürliche Farbwahl der Fotografie „Woman Crying (Comic) #14“ besonders heraus, die eine triste Dramatik provoziert: Das Gesicht der Protagonistin leuchtet blau – nur die einzelne Träne, die unter dem dichten Wimpernkranz des geschlossenen Auges herunterläuft, ist in unschuldigem Weiß gehalten.

Comic-Frauen beweinen ihr eigenes Schicksal

Bei anderen Fotografien (Preise: 24 000-36 000 Euro, 5 Abzüge pro Edition) erkennt man dank des starken Zooms um die Augen herum die einzelnen Punkte der Vierfarbdrucktechnik in den Comics. So wird eine einzelne kullernde Träne auf rötlich-blauem und weißem Untergrund in der Ausstellung zu einem Abstraktum.

Andere Augen betrachten sich in der Galerie gegenseitig. An einer Wand sieht man Frauen im Profil, die sich durch die Anordnung der Bilder mit offenen Mündern, geröteten Wangen und laufenden Tränen ratlos anblicken.

Die Comics aus den Zeiten des Kalten Kriegs zeigen in ihren Darstellungen und den Storylines, welche gesellschaftlichen Erwartungen an Frauen gestellt wurden. Die Protagonistinnen sollten ihr persönliches Glück in der Heirat und der Hausarbeit finden.

Tränen wurden in den Comics nur vergossen, wenn es um Liebe und Romantik ging. Colliers Fotografien wecken dank der Eingriffe der Künstlerin nun allerdings den Eindruck, als würden die Comic-Frauen ihr eigenes Schicksal beweinen: Sie sind für ewig in den Rollenbildern der Zeit gefangen.

Lorina Speder

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