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Weit mehr als nur ein Skandal: Der Aufstieg des Leaks zur Wahrheit
Die Aufregung um die Döpfner-Äußerungen zeigen eine tektonische Verschiebung zwischen Privatem und Öffentlichem an.

Stand:
Ist die Aufregung um die geleakten Döpfner-Äußerungen ein Momentum? Eines, das über die angebliche oder tatsächliche Relevanz der Mail- und SMS-Verbalien weit hinausgeht?
Die Fragmente ohne Kontext, Adressaten und Antworten werden für bare Münze genommen. Hier zeigt sich der Mathias Döpfner, wie er wirklich leibt und lebt, denkt und handelt. Seine ausgreifende Publizistik gilt dann nur als matter Abglanz, als eine geschönte, geglättete Ausarbeitung seiner tatsächlichen Überzeugungen.
Schieben wir den skandalisierten und radikalisierten Springer-CEO mal beiseite, taucht eine Grundfrage auf: Besitzt das privat Geäußerte eine größere Relevanz als die öffentliche Äußerung? Spricht eine Person im Privaten ehrlicher, mehr Wahres, hat die Privatlogik eine unwiderlegbare Konsistenz?
Solche Fragen sind mehr als intellektuelles Glasperlenspiel. Sie berühren eine Grundkonstante menschlicher Kommunikation, die grundsätzliche Annahme, dass die Lüge die Ausnahme im Gesagten und Geschriebenen ist, dass das, was gerade der Journalismus wo, wann und von wem auch immer transportiert, so und nicht anders gemeint ist. Der Zeitungsartikel als Antithese zur These „Der lügt ja wie gedruckt“.
Je mehr aus privaten SMS-, Chat- und Mail-Mitteilungen geleakt, also veröffentlicht wird, desto mehr wird sich der Glaubwürdigkeitsgraben verbreitern. Der Zweifel wird wachsen, das Vertrauen muss erodieren, als wahr und echt und authentisch kann nur noch gelten, wenn öffentliches und privates Denken, Schreiben und Handeln zur Deckung kommen.
Die journalistische Sucht und die individuelle Sehnsucht nach dem Ausleuchten von Hinter-, Schlaf und Gedankenzimmern ist bei Gott nicht neu. Was schon in analogen Zeiten gang und gäbe war, hat in der digitalen Sphäre nur seine Erweiterung gefunden. Mit geleakten Äußerungen glauben wir in die Köpfe der Schreiberinnen und Schreiber schauen zu können.
Nicht nur, dass wir das glauben, wir sind überzeugt davon. Das ist der Resonanzboden, auf dem der Döpfner-Skandal wachsen und gedeihen kann: Abgeleitet aus dem Grundsatz, dass einer wie Döpfner (und nicht nur er) zwei Döpfners ist: der öffentliche und der private.
Der Springer-CEO wird dieser Doppelhelix nur entkommen, wenn er den Doppel-Döpfner zusammenschrumpft. Wenn der Leak nichts anderes hergibt als die öffentliche Äußerung. Was für eine Herausforderung - für alle.
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