Kultur: Weltmeister
Der Schriftsteller Friedrich Christian Delius feiert 60. Geburtstag
Seine Vornamen liefern einen, wenn auch nicht den einzigen Schlüssel zu seiner Person. Sie passen nämlich so, wie sein Träger sie abkürzt, zu einem Fußballverein. Dabei steht das F.C. für einen preußischen Konsul, den der Vater schätzte, für Friedrich Christian. Von beidem gleichermaßen zu erzählen, vom Naheliegenden und dem Verborgenen, vom Gegenwärtigen und der Tradition, das darf wohl zumindest in einem feuilletonistischen Geburtstagsgruß die schriftstellerische Eigenart des F. C. Delius genannt werden.
F. C. Delius ist ein bedachter Zauderer mit dem Image eines 68-er Heißsporns. Er selbst nennt sich einen 66-er. „Ich bat um ein Streichholz“, heißt es in seinem ersten Gedichtband „Kerbholz“. „Man gab mir eine / volle Schachtel. // Also / gehe ich umher als / Brandstifter.“ Einer aus Gelegenheit, nicht aus Mutwillen, und einer ohne politisches Programm.
Delius, der in Rom geboren wurde und im hessischen Wehrda aufwuchs, schreibt bereits mit 17 Jahren Gedichte. Er ist 22, als „Kerbholz“ 1965 im linken Verlag Klaus Wagenbach erscheint. Dessen Lektor wird Delius 1970, und er gehört zu jenen Angestellten, die die weitgehende Gleichberechtigung mit dem Verlagsinhaber auch auf Entscheidungen über das Programm ausdehnen wollen. Doch für Klaus Wagenbach sind kollektive Lektoratsentscheidungen „eine schwachsinnige Idee“, und so wird nach zeittypischer Sitte lange mit Papieren und auf Vollversammlungen gefochten. Zermürbt trennt man sich 1973, und Delius arbeitet bis 1978 im neuen Rotbuch Verlag als Lektor. Schade, sagt er vor Jahren, dass es zwischen den Kontrahenten niemals zu einer Aussprache kam.
Der neue Verlag besitzt mit Delius’ satirischer Festschrift „Unsere Siemens-Welt“ (1972) einen gefährlichen Bestseller: Siemens prozessiert jahrelang, und Rotbuch muss die Szene um Solidaritätsspenden wegen 30000 Mark Gerichtskosten bitten. Delius, der in dieser Zeit Stücke von Heiner Müller unter dem Hemd über die Grenze schmuggelt, hält die Dokumentarliteratur fortan für zu riskant. Neben Lyrik und Satiren schreibt er nun Romane, zunächst eine Trilogie über den Deutschen Herbst: „Ein Held der Inneren Sicherheit“ (1981), „Mogadischu Fensterplatz“ (1987) und „Himmelfahrt eines Staatsfeindes“ (1992). Immer ist der zeitliche Rahmen knapp bemessen, immer erzählt Delius vom psychologischen Innenfutter einer Ausnahmesituation und fragt erzählend nach den Auswirkungen der großen Politik auf den Einzelnen.
Nicht anders geht es in jenen Romanen zu, in denen Friedrich Christian Delius eigene und generationsspezifische Aufbrüche mit souveräner Ironie behandelt: In „Der Sonntag, an dem ich Weltmeister wurde“ (1994) schenkt die Rundfunkübertragung des WM-Finales von 1954 einem Jungen, der auf seinen autoritären Pfarrervater mit Stottern, Schuppen und Flechten reagiert, befreienden Jubel und Überschwang. In „Amerikahaus und Der Tanz um die Frauen“ (1997) findet der gehemmte Student Martin durch eine Demonstration zu den Frauen. Allerdings ist die Frau, die den Pazifisten verführt, eine israelische Soldatin: Glück ist eigenwillig.
F. C. Delius ist ein produktiver Autor, der neben klassischen Novellen auch unterhaltsame Erzählungen wie „Die Birnen von Ribbeck“ (1991) vorlegt, die aus einem einzigen Satz bestehen. Soeben ist der Delius-Reader „Warum ich schon immer Recht hatte – und andere Irrtümer“ im Rowohlt Berlin Verlag erschienen (160 S., 16,90 €), eine Sammlung von Glossen und Einwürfen von A bis Z. Unter „Zweifel“schreibt das einst jüngste Mitglied der Gruppe 47: „Ohne Schnee von gestern kein Frühling, keine Fruchtbarkeit.“ Heute feiert Delius seinen 60. Geburtstag.
Für F. C. Delius lesen ab 20 Uhr im Berliner Literaturhaus Volker Braun, Uwe Kolbe, Katja Lange-Müller, Péter Nádas, Aras Ören, Joachim Sartorius und Ingo Schulze.
Jörg Plath