
© dpa / dpaRolf Vennenbernd
Welttag und 100. Geburtstag des Radios: Was mal im Vox-Haus startete, ist heute Podcast
Das Radio ging vor hundert Jahren in Berlin und damit in Deutschland auf Sendung.
- Diemut Roether
- Joachim Huber
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Koinzidenz der Daten. Am kommenden Montag ist der Welttag des Radios. nur wenige Monate vor dem 100. Geburtstag des Mediums in Deutschland am 23. Oktober 1923. Der Anfang war knatternd und vor ganz kleinem Publikum. „Achtung, Achtung, hier ist die Sendestelle Berlin Vox-Haus auf Welle 400 Meter.“ Mit diesen Worten, gesprochen von Friedrich Georg Knöpfke, begann das erste offizielle Rundfunkprogramm in Deutschland. Es folgte die Übertragung der „Suite für Violoncello“ von Fritz Kreisler.
Brecht war begeistert
In den ersten Monaten und Jahren suchte das neue Medium Radio noch nach seiner Form. Es war, wie der Schriftsteller und Dramatiker Bertolt Brecht 1932 in seiner Rede „Der Rundfunk als Kommunikationsapparat“ sagte, eine Erfindung, die nicht bestellt gewesen sei: „Nicht die Öffentlichkeit hatte auf den Rundfunk gewartet, sondern der Rundfunk wartete auf die Öffentlichkeit.“ Vielleicht sollte man besser sagen: Er musste seine Öffentlichkeit finden. Und er fand sie rasch.
Schon in den Jahren 1923 und 1924 gründeten sich etliche weitere private Rundfunkgesellschaften, in Frankfurt am Main, Königsberg, Hamburg, Leipzig, Stuttgart, Breslau, Münster und Berlin.
Im Dezember des Jahres 1924 gab es bereits eine halbe Million „Teilnehmer“ in Deutschland. Ein Jahr später hatte sich die Zahl verdoppelt. Zwei Reichsmark kostete 1924 - kurz nach der Inflation - die monatliche Teilnehmergebühr. „Schwarzhören“ wurde im März 1924 unter Strafe gestellt.
Schnell erkannten die Radiomacher den Wert der Live-Berichterstattung, die „Blitzesschnelle des Rundfunks“: Bei den Reichstagswahlen am 4. Mai 1924 hatte der Direktor der Berliner „Funk-Stunde“, Theodor Weldert, „einen ganzen Stab an Helfern“ um sich geschart, um über die Wahlen zu berichten, wie der Chefredakteur der Zeitschrift „Funk“, Ludwig Kapeller damals beschrieb.
Nicht die Öffentlichkeit hatte auf den Rundfunk gewartet, sondern der Rundfunk wartete auf die Öffentlichkeit.
Bertolt Brecht
Der Physiker Albert Einstein sagte 1930 bei der Eröffnung der Deutschen Funkausstellung in Berlin, die Technik des Radios ermögliche „die wahre Demokratie“: Sie mache die Werke „der feinsten Denker und Künstler, deren Genuss noch vor Kurzem ein Privileg bevorzugter Klassen war, der Gesamtheit zugänglich“.
Als die Nationalsozialisten 1933 in Deutschland an die Macht kamen, sahen sie im Radio ein Herrschaftsmittel, wie der Medienhistoriker Christoph Classen schreibt: „Dass das Medium nur in einer Richtung sendete, passte zu ihrem politischen Ideal einer direkten und andauernden Verbindung zwischen dem ‘Führer’ und einer ihm treu ergebenen ‘Volksgemeinschaft’.“ Mit dem preiswerten „Volksempfänger“ machten die Nationalsozialisten das Radio zum Massenmedium. Ausländische Sender zu hören, war seit 1939 verboten.
Nach dem Krieg entstand in der Bundesrepublik unter der Führung der Alliierten dann ein Rundfunk, „der staatsfern, aber nicht unpolitisch sein sollte’“, schreibt Classen. In der jungen Bundesrepublik wurde das Radio zur Schule der Demokratie.
400 Radiosender
Seit dem Aufkommen des Privatradios in den 80er Jahren wurden die Wellen nach und nach vermeintlich passgenau für spezielle Zielgruppen formatiert. Nach Angaben der Arbeitsgemeinschaft Media-Analyse gibt es derzeit mehr als 400 unterschiedliche Radiosender in Deutschland. Lange Wortbeiträge gelten vielfach als Störfaktor.
„Radio ändert sich und bleibt, was es ist“, sagt Hans-Ulrich Wagner vom Hans-Bredow-Institut für Medienforschung in Hamburg. Für ihn ist das akustische Medium 100 Jahre nach seiner Geburt lebendiger denn je. Selbst als klassisches Nebenbeimedium, als Alltagsbegleiter werde es „immer wieder neue Stimmen geben, die fesseln und faszinieren, die informieren und anregen, die Musik präsentieren, durch den Alltag begleiten und Geschichten erzählen“.
Immer neue Medien sind über das Radio hinweggerollt, haben seine Bedeutung, seine Funktion, seine Wirkung verändert – nicht aber das Medium aus dem Medienensemble der Nutzerinnen und Nutzer in Haushalt, Auto und Smartphone verdrängt. Immerhin hören noch 75 Prozent der Deutschen täglich Radio. Für ein wachsendes Publikum weicht das Lineare der Audiothek, Zuhören wird Nachhören, egal ob Wort oder Musik, Unterhaltung oder Information. Schon streiten die Kundigen, ob die Zukunft des Hörfunks im Podcast liegen wird.
Radio hat Zukunft, ob linear oder nicht linear, ob UKW, DAB+ oder online. Seine Mobilität passt zur mobil-modernen Welt, (lineares) Radio hat nach wie vor den Vorzug des Live- und Überraschungscharakters. Wer da und dort, zufällig oder zufällig einschaltet, der wird immer von etwas ursprünglich nicht Gesuchtem überrascht. In jedem von uns steckt ein Radio-Pirat. Deutschland ist Radioland. (mit epd)
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