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Kultur: Wer Mozart so vergessen kann „Die Entführung aus dem Serail“ an der Münchner Oper

Was hat das Theater noch mit dem Leben zu tun, wenn es in diesen Tagen den Huldigungsgesang an einen weisen Orientalen nicht ernst nimmt? Da gibt es den Bassa Selim, der alle Macht besitzt, den Edelmann Belmonte zu töten.

Was hat das Theater noch mit dem Leben zu tun, wenn es in diesen Tagen den Huldigungsgesang an einen weisen Orientalen nicht ernst nimmt? Da gibt es den Bassa Selim, der alle Macht besitzt, den Edelmann Belmonte zu töten. In der ursprünglichen Fassung des Buches empfiehlt sich das Happy End in einer so üblichen wie unwahrscheinlichen Wiedererkennungsszene: Selim und Belmonte sind Vater und Sohn. Aber Mozart hat mit seinem Librettisten Stephanie einen neuen Schluss der „Entführung“ gefunden: Selim vergibt dem jungen Spanier, obwohl er in ihm den Sohn seines Feindes erkennt. Im politischen Kontext geht das weit über das bürgerliche Theater der Zeit hinaus. Das einfache Vaudeville, das die Geretteten dem Retter singen, dürfte keinen sensiblen Zuschauer verfehlen. Es ist von der Art, unter die Haut zu gehen: „Wer so viel Huld vergessen kann, den seh’ man mit Verachtung an.“

Aber es muss einer dastehen, der diese Gnade als Grund des Werkes vertritt. Ein Liebender, der auf Konstanze verzichtet, weil sie sich Belmonte versprochen fühlt, ein Liebender auch im Sinn des Mozartschen Humanismus, der keine Rache kennt. Ein Herrscher aus Aufklärung und Großherzigkeit. So viel Huld darf nicht vergessen werden.

An der Bayerischen Staatsoper hat der Regisseur Martin Duncan sich ausgedacht, die Sprechrolle des Selim als stumme Figur zu verschleudern, die darüber hinaus als Adressat des Lobgesangs durch Abwesenheit verblüfft. Hinter den Protagonisten, die ihr Vaudeville an wen immer im Publikum richten, drängt das weibliche Volk der Türken im Tschador nach vorn und tänzelt mit den Haremsdamen, während die singenden Herren befrackt im Orchestergraben stehen, alles zusammen als Chor der Janitscharen. Duncan, sein Co-Regisseur und Ausstatter Ultz und der Choreograf Jonathan Lunn stehen dafür, die Opernszene listig mit modernem Zeitgeist aufzumischen. Dem Singspiel Mozarts haben sie jedoch nun das Spiel ausgetrieben. Man stelle sich eine „Entführung“ ohne das schöne repetierte „Gift und Dolch!“ des muselmanischen Wächters Osmin vor! Stattdessen müht sich eine verschleierte „Erzählerin“. Das geht etwa so: „Da traf er einen Mann.“ Osmin singt. „Der Fremde wollte wissen, wem der Palast gehört.“ Die dröge Lektion schließt Nachhilfe in arabischer Kosmetik und Koranvorschriften ein. Ungeachtet des Alkoholverdikts stimmt Osmin dem Pedrillo zu: „Vivat Bacchus!“ und ist sofort volltrunken, weil es nichts mehr zu sagen gibt. Das Bühnenbild, in dem alles schwebt, der Harem als ein Ambiente aus popknallbunten Sofas, darauf eine witzige Choreografie machen anfangs erwartungsfroh. Dann gibt es neben Orientklischees Befremdliches. Die kindische Entmannung von „Eunuchen“ etwa, deren Genitalien von Bühnenblut triefen: ein Gag, der Kulturgeschichte klittert.

Das gereizte Publikum macht vor dem jungen Maestro nicht Halt. Daniel Harding sieht sich gehindert, weiterzudirigieren. „Langweilig!“, dröhnt es vom Rang und meint die Szene. Dabei pulsiert die Musik in frischen, beredten Details. Harding beglaubigt mit dem Bayerischen Staatsorchester, dass er diesen Mozart als Herausforderung begreift. Die Sänger helfen ihm weniger. Das Mittelmaß überschreitet Kevin Conners als Pedrillo, während sein Tenorkollege Roberto Saccà eher ängstlich als feurig klingt. Auf Sparflamme bereitet auch Sandrine Piau ihre Konstanze zu, an ihrer Seite mit routiniertem Geschick Deborah York als Blonde. Paata Burchuladzes Osmin: keine Komödiantik, schwere Register, eingedunkelte Vokale.

Ein Juwel der musikalischen Literatur provoziert in dieser Version das Gefühl: Die Leute auf der Bühne gehen dich nichts an. Chance vertan.

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