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Zwei japanische Nō-Masken aus dem 18. Jahrhundert.

© Imam Issa

Masken, „Faust II“ und Duchamp: Wer schaut hier eigentlich wen an?

Die Ausstellung „Understudies“ in den Kunst-Werken vereint 300 Jahre alte japanische Masken und moderne Kunst. Doch ihre Präsentation gibt Rätsel auf.

Wer schaut hier eigentlich wen an? Zwei 300 Jahre alte Masken des japanischen No-Theaters sind die ältesten Exponate der Ausstellung „Understudies: I, Myself Will Exhibit Nothing“ in den Kunst-Werken. Anstelle von Iris und Pupillen klaffen in den weiblichen Holzgesichtern Gucklöcher für die Akteure, in der No-Tradition durchweg Männer. Man hat auch jetzt das Gefühl, angeblickt zu werden. Als führten die Masken ein Eigenleben. Was sich auf Kunst allgemein übertragen lässt: Je größer die Magie, die ein Werk ausstrahlt, desto weniger fragt man nach dem Sinn und Zweck des Objekts.

Es gibt einige Werke in der Ausstellung, von denen diese Kraft ausgeht, die Zweifel am Warum und Wie verstummen lassen. Solcherart verführerisch sind die Illustrationen zu Goethes „Faust“, die Geta Bratescu 1983 schuf. Auf 31 Blätter hat die 2018 verstorbene rumänische Künstlerin mit Bleistift, Tempera und Goldpigment abstrakt verschlüsselte Dramenszenen gezeichnet und gemalt, deren Beschreibungen auf Texttafeln nachzulesen sind. Muss man aber wissen, welche Komposition zu „Auerbachs Keller“ oder der „Klassischen Walpurgisnacht“ aus „Faust II“ gehört? Nicht wirklich, denn der ästhetische Reiz der Zeichnungen ist stark genug.

Die Auseinandersetzung mit Text ist eine Konstante der Ausstellung. Valeska Soares, die mit mehreren schönen Werken vertreten ist, hat vor zehn Jahren mit „The House of Exile (from Bindings)“ eine Wand-Assemblage aus Bucheinbänden geschaffen. Zwei andere Werke mit Literaturbezug sind dagegen für Ausstellungen denkbar ungeeignet. Der georgische Spielfilm „Kerib, der Spielmann“, 1988 nach einer Versdichtung von Michail Lermontov gedreht, wird als Loop auf einen Keilrahmen projiziert, als könnte man einen Film zum Gemälde umwidmen. Wer soll sich das in voller Länge ansehen? Und die fast zehnstündige Hörbuch-Fassung von Mohammad Rabies Roman „Otared“ sich anhören?

Zusammengestellt wurde die Ausstellung von Iman Issa. Es ist ihre erste kuratorische Arbeit. Vielleicht ist die 1979 in Kairo geborene, 2017 für den Preis der Nationalgalerie nominierte Künstlerin nur unerfahren im Metier. Vielleicht ist ihr aber auch egal, ob noch irgendjemand durchblickt: Auf zwei Stockwerken der Institution ist ein uninspiriertes Nebeneinander von Arbeiten zu erleben, deren Qualitäten nicht zur Geltung kommen.

Es bleibt unerfindlich, was mit der Auswahl und Kombination kommuniziert werden soll. Ein Kuratorinnen-Statement könnte hilfreich sein. Stattdessen erstreckt sich über drei Seiten des Ausstellungsfaltblatts ein Stück konkreter Poesie, das wirkt, als hätte Issa einen Begleittext mit Tipp-Ex übermalt, bis nur noch ein paar Namen der Künstler:innen und abgerissene Sätze zwischen großen weißen Lücken übrig blieben.

Alles so verkopft

Der Ausstellungstitel „Understudies: I, Myself Will Exhibit Nothing“ geht zum Teil auf Duchamp zurück, der 1918 eine Kubismus-Ausstellung zu organisieren versuchte (die nicht zustande kam) und keine eigenen Werke dafür beisteuern wollte. „Ich für meinen Teil werde gemäß meinen Prinzipien nichts ausstellen“, schrieb Duchamp damals einem Freund. Mit dem Zitat gibt Iman Issa wiederum Rätsel auf. Denn die Kuratorin ist durchaus mit einer Werkserie an der Ausstellung beteiligt. Bringt Issa ihre Skepsis gegenüber Autorschaft zum Ausdruck?

[Kunst-Werke, Auguststr. 69, bis 9. 1.; Mi bis Mo 11 – 19 Uhr, Do bis 21 Uhr.]

Die Grundform ihrer Skulpturenserie „Proxies, with a Life on Their Own“ ist ein abstrahierter, gesichtsloser Kopf. Seit 2019 sind acht solcher Selbstporträts entstanden, in denen die Künstlerin zugleich die Rolle einer prominenten Person einnimmt. Fünf solcher an der Wand installierter „Stellvertreter“ sind nun zu sehen, darunter „Self as William S. Burroughs“ oder „Self as Hannah Arendt“. Zu jedem Kopf gehört ein Schild, das bestimmte Haltungen oder Aussagen der betreffenden Persönlichkeit benennt.

Jede Skulptur variiert die Grundform, indem der „Kopf“ zum Beispiel auf signifikante Weise in zwei Hälften zerschnitten wird. Der Versuch des Betrachters, den Begleittext auf die Skulptur zu beziehen – eine Auflösung, die nicht gelingen kann –, erzeugt Spannung, mindestens ein Flimmern. Man wünschte sich diese produktive Unruhe auch in der Ausstellung. Mit Issas „Understudies“ und der Soloschau von René Green sind aktuell gleich zwei eher unerquickliche Ausstellungen in den Kunst-Werken zu sehen. In der Auguststraße ist gerade alles so verkopft, um tausend Ecken gedacht, ohne Magie.

Jens Hinrichsen

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