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Rohstoffe, so weit das Auge reicht. Deutsche Müllhalde.

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What a waste: Roman Köster erzählt die Geschichte des Mülls

Der Historiker untersucht, wie Menschen im Lauf der Jahrhunderte mit dem ewigen Problem des Abfalls umgegangen sind.

Von Maximilian Mengeringhaus

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Was hatten Willem van Loven und Stanislaw Wegrzynek gemein, obwohl ihre Leben ein ganzes Jahrhundert und 1200 Kilometer trennten? Beide wurden die jeweils ersten Müllmänner ihrer Heimatstädte. Van Loven hielt seit 1490 in Dordrecht den Hafen sauber, Wegrzynek ab 1592 in Kraków die Straßen. Den Namen des ersten amtlichen Nürnberger Mistmeisters von 1599 erfahren wir von Roman Köster leider nicht. Dafür aber allerhand Wissenswertes über die Ursprünge der Kehrwoche, die Tokioter Fäkalindustrie oder den weltweit vernetzten Gebrauchtwarenhandel.

Köster ist Historiker und hat mehrfach schon zu Themen der Wirtschaftsgeschichte publiziert. Das kommt auch seinem neusten Buch zugute. „Müll. - Eine schmutzige Geschichte der Menschheit“ will mit Blick auf die ökonomischen Entstehungszusammenhänge untersuchen, „welches Problem Abfälle für die Menschen darstellten, wie sie damit umgingen und welche Lösungen sie über die Zeit entwickelten.“

Dazu holt die Darstellung mit Anmerkungen über frühgeschichtlichen Städtebau und Tierhaltungspraktiken zunächst weit aus, um schließlich ihre analytischen Stärken ab dem Einsetzen des 19. Jahrhunderts zu entfalten. Die Industrialisierung als chemische Revolution veränderte und komplizierte die bestehenden Wertschöpfungsketten nachhaltig. Den daraus resultierenden Belastungen für die Umwelt ist der Mensch bekanntlich noch nicht Herr geworden. Oder wie Köster pointiert resümiert: „Die Geschichte der modernen Abfallwirtschaft ist auch ein Friedhof der Innovationen.“ Zu energieintensiv, zu emissionsreich oder schlicht zu teuer waren die allermeisten Ansätze, die weg von den Großdeponien und dauerqualmenden Verbrennungsanlagen führen sollten.

Was in den Abschnitten zur Vormoderne noch wie wahlloses Faktenschnellfeuer auf die Leserschaft einprasselt, wird für das Industriezeitalter bedächtiger in den Blick genommen. Köster zieht hier einleuchtende Verbindungslinien, um die „Diskurse von Ungleichheit, Rassismus und Hygiene“ in Beziehung zu setzen.

Ein Beispiel: Wenn die britischen Kolonialherren irgendwann auch in nicht von ihnen selbst bewohnten Vierteln Kanalisationen bauen ließen, motivierte sie dazu weniger ihre Menschenliebe als bakteriologische Einsicht. Die „Kontinuität zwischen den kolonialen Assanierungsprogrammen und den globalen Gesundheitskampagnen“ weiß Köster jedenfalls überzeugend aufzuzeigen. Allerdings stellt sich gerade bei den Exkursen zur Hygienegeschichte die Gretchenfrage, was begrifflich überhaupt im Fokus steht. Bezeichnen Müll, Fäkalien und Schmutz wirklich dasselbe Phänomen? Nicht immer scheint dies klar, trotz erläuternder Einleitung und einem guten Buchviertel Belegstellen.

Das abschließende Kapitel zum Massenkonsum seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs gerät dagegen stringent. Was Köster zum Kriegsrecycling und dessen psychologischen Folgen zu sagen hat, lässt sich mit Gewinn und obendrein locker lesen. Vom Wiederverwertungsüberdruss der Nachkriegsdeutschen bis zur Reparaturkultur der sozialistischen Länder werden Einblicke in unsere maßlose Zeit gewährt. Dass es dabei stets nüchtern und ohne übertriebenen Appellcharakter zugeht, zeugt von einem Problembewusstsein, das Handlungsbedarf nicht mit Aktionismus verwechselt.

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