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Das Cover der aktuellen Ausgabe mit Franz Koglmann.

© R/D

Jazzmagazine: Wildheit und Wildwuchs

Das "Jazzpodium", das traditionsreichste deutsche Magazin seiner Art, hat sich einen Relaunch gegönnt. Die Zeitschriftenkolumne.

Von Gregor Dotzauer

Der deutsche Jazzjournalismus ist von trauriger Gestalt. In den großen Feuilletons versuchen einige Unermüdliche, die Begeisterung für eine Musik wachzuhalten, die zwischen den Routinen des Klassikbetriebs und den Codes des Pop eigenwilligere Haken schlägt als je zuvor. Doch weil an einen festen Jazzredakteur nirgends zu denken ist, werden ihre Kräfte von Großereignissen aller Art aufgezehrt. Und nachdem gerade eine ganze Generation abtritt, ließe sich ein Jahr im Jazz gut und gerne allein mit Nachrufen bestreiten.

Die lebendige Breite findet sich in der sogenannten Fachpresse, die tapfer die Fenster zu einem breiteren Publikum aufzustoßen versucht, aber immer wieder in einer wortreichen Sprachlosigkeit steckenbleibt. Außer blumiger Selbstverständigungsprosa hat sie oft wenig zu bieten. Dazu kommen mit allen Redundanzen protokollierte Interviews – und generell Texte, die eine harte Redakteurshand vertragen könnten. Die Professionalisierung, die der Jazz an den Hochschulen erfährt, hat auf den Jazzjournalismus wenig abgefärbt. Dafür gibt es nicht zuletzt ökonomische Ursachen. Auf einem Musikmarkt, der am Gesamtumsatz nur einen Anteil von rund einem Prozent ausmacht, ist die Situation der Kritiker, die vielfach für Gottes Lohn schreiben, noch prekärer als die der Musiker.

Immerhin hat sich der Jazzjournalismus so weit in Richtung Hip-Hop, Soul oder auch Neue Musik geöffnet wie die Musik, mit der sich beschäftigt. Auch einen Mangel an bildsprachlicher Eleganz kann man ihm nicht mehr vorwerfen. 1987 wurde mit „Jazzthetik“ (www.jazzthetik.de) ein Magazin auf der Höhe der Zeit gegründet, dem 1993 mit „Jazz thing“ (www.jazzthing.de) ein zweites folgte. Anders als in den USA, wo mit „All About Jazz“ (www.allaboutjazz.com) eine herausragende Website substanzielle Kritiken bietet, die monatlich von rund einer Million Lesern konsultiert werden, hat sich in Deutschland kein nennenswertes Online-Format etabliert – sicher auch, weil das klassische Anzeigengeschäft eine zuverlässigere Basisfinanzierung garantiert als das Netz.

Widerstand gegen alle Neuerungen

Die einzige Zeitschrift, die sich allen Neuerungen widersetzte, war die traditionsreichste: das im September 1952 von Dieter Zimmerle, einem Stuttgarter Radiojournalisten, begründete „Jazzpodium“. Bei allen Wandlungen, die es durchgemacht hat – einst feierte es den Jazz als Kunst, die „lebendige Spontaneität, ungekünstelte Wildheit, natürliche Rasse“ vereint –, war es bis vor Kurzem ein Relikt aus unvordenklichen Zeiten. Zumindest vom Layout her hatte es die Anmutung eines dilettantisch umbrochenen Bistumsblatts. Nach Zimmerles Tod 1989 übernahm Gudrun Endress die Geschäftsführung. Mit nunmehr 78 Jahren ist sie heute nur noch Autorin.

Seit Anfang des Jahres lenken Adam Olschewski und seine Frau Anja Freckmann mit einer Kapitaleinlage von 26 000 Euro die Geschicke der von Stuttgart nach Bernried am Starnberger See umgezogenen Zeitschrift. 1966 im polnischen Tuchola geboren, kam Olschewski mit 14 Jahren nach Deutschland. Er schlug sich einmal quer durch den journalistischen Gemüsegarten, veröffentlichte bei Rogner & Bernhard einen Roman, und plant weitere, wie sein Blog wortshaker.de (Motto: „Unberechenbarkeit en gros“) verrät.

Was er mit dem zehnmal im Jahr erscheinenden Heft (jazzpodium.de) in kurzer Zeit geschafft hat, ist erstaunlich. Format (und Qualität) der Fotografien haben sich auf einen Schlag vervielfacht – was für eine Musik, die zwischen Blue Note und ECM stets auch von einer unverwechselbaren Covergestaltung lebte, selbstverständlich sein sollte. Der Vibraphonist Karl Berger, der 1971 in Woodstock, New York, das legendäre Creative Music Studio (creativemusic.org) gründete, schreibt mit „Music Mind“ eine Kolumne über die Kunst des Hörens und der Improvisation. Einen Schwerpunkt bilden Rieseninterviews: in der aktuellen Ausgabe eines mit dem Wiener Trompeter und Flügelhornisten Franz Koglmann. Dieses „Jazzpodium“ hat sogar Chancen, aus dem Auflagenknick von zuletzt gemeldeten 12 000 Exemplaren gegen die angeblich doppelt so starke Konkurrenz des „Jazz thing“ herauszukommen.

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