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Daniel Barenboim (rechts) und Matthias Schulz

© dpa

Staatsoper Unter den Linden: „Wir reden offen über alles“

Matthias Schulz, der Intendant der Berliner Staatsoper, über den Streit um Daniel Barenboims Führungsstil, Uraufführungen und seine Liebe zu Mozart.

Herr Schulz, Ihr aktuelles Spielzeitmotto lautet „furchtlos“. Wenn Sie nun aber zum ersten Mal keine Pressekonferenz veranstalten, um die kommende Saison vorzustellen, dann könnte man fast auf die Idee kommen, an der Staatsoper herrsche tatsächlich ein „Klima der Angst“, wie die Barenboim-Kritiker behaupten.

Für mich ist es wichtig, dass die aktuelle Diskussion die Präsentation des Programms nicht überlagert. Und man sieht anhand unseres Spielplans auch, dass das Haus seinen normalen Gang geht. Wenn hier eine ungute Atmosphäre herrschen würde, wäre das alles gar nicht möglich.

So lange ich mich erinnern kann, hat Daniel Barenboim bei keiner Spielzeitpräsentation gefehlt. Wenn er auch jetzt wieder einen Medientermin gewollt hätte, hätte er ihn bekommen, oder?

Wir wollten mal etwas anderes ausprobieren, um das Programm in den Mittelpunkt stellen zu können. Social Media wird beispielsweise immer wichtiger, auch im Opernbereich, und dazu braucht man keinen Vor-Ort-Termin. Wenn jemand das Bedürfnis hat, direkt mit mir zu sprechen, dann stehe ich dafür gerne bereit. Darum sitzen wir ja jetzt hier.

Es war also nicht so, dass Barenboim gesagt hat: Ich bin diesmal nicht dabei?

Nein. Wir wollten es wirklich mit einer neuen Form versuchen.

Ihnen ist aber schon klar, dass ein öffentliches Interesse daran besteht, über die Causa Barenboim zu sprechen?

Das ist mir klar. Für ein Haus, bei dem so viele Mitarbeiter gemeinsam an einem Programm arbeiten, ist es jetzt wichtig, den Blick auf das Künstlerische zu lenken.

Es verfestigt sich der Eindruck, der Orchestervorstand und auch Sie wollen die Sache am liebsten einfach aussitzen.

Wir haben nach den ersten öffentlichen Äußerungen in einer Pressemitteilung gesagt, was es für uns in dem Zusammenhang zu sagen gab. Mir ist es wichtig, die Arbeitsatmosphäre bei uns am Haus positiv weiterzuentwickeln. Und ich beteilige mich gerne, ganz unabhängig von der aktuellen Situation, an einer Diskussion über wünschenswerte Führungsstrukturen in Kulturbetrieben.

Warum stellt sich der Orchestervorstand nicht hin und sagt: Wir haben intern abgestimmt – und eine überwältigende Mehrheit hat sich für Barenboims Vertragsverlängerung ausgesprochen?

In seinem Statement hat das Orchester gesagt, es freue sich auf weitere Jahre der Zusammenarbeit…

…aber es haben den Zusatz „auch über 2022 hinaus“ vergessen.

Jetzt legen Sie die Worte aber auf die Goldwaage! Sie sind der erste, der mich überhaupt darauf bringt, dass die Formulierung einen Interpretationsspielraum in Bezug auf die Vertragsverlängerung beinhalten könnte. Ich habe das nicht so gelesen, und so ist es auch nicht.

Ein unmissverständliches Votum der Staatskapelle für Barenboim würde Kultursenator Klaus Lederer, der über die Vertragsverlängerung entscheidet, unter Zugzwang bringen.

Wir haben einen Generalmusikdirektor, dem das Haus unheimlich viel zu verdanken hat, der weiterhin zeigt, dass er Neues einfordert, der unkonventionelles Repertoire dirigiert, der junge Sänger, Dirigenten und Regisseure fördert. Die Gespräche über die Zukunftsperspektiven des Hauses finden mit allen Beteiligten statt. Und wir gehen die ganz gelassen an.

Könnte es vielleicht auch sein, dass es sich bei Willi Hilgers, dem Wortführer der Barenboim-Kritiker, um einen Simulanten handelt? Der Orchestervorstand hat gegenüber der „FAZ“ behauptet, Hilgers habe erst gekündigt und sich später erkundigt, ob es eine Stelle an der Staatsoper gebe, auf die er sich bewerben könne.

Es scheint so zu sein, als habe er sich noch einmal nach einer offenen Stelle erkundigt. Aber ich möchte heute mit Ihnen wirklich auf das Programm von 2019/20 schauen.

Okay, schauen wir aber zuerst mal auf den aktuellen Spielplan. Sie haben gerade drei Uraufführungen nacheinander herausgebracht. Respekt, das zeigt, wie wichtig Sie das zeitgenössische Musiktheater nehmen. Haben Sie jetzt ein Loch in der Kasse?

Es war mir wichtig, in meiner ersten Saison so ein Zeichen zu setzen. Gerade bei Furrers „Violetter Schnee“ hätte ich nie damit gerechnet, dass das Publikum so mitgeht. Wir haben zudem viele Zuschauer gehabt, die sonst nicht kommen. Auch „Himmelerde“ lief extrem gut, „Babylon“ war konstant in Ordnung. Dass ein Werk des 21. Jahrhunderts deutlich über 1000 Besucher pro Abend hat, ist ja wirklich nicht selbstverständlich. Das hat mich motiviert für mehr!

Daniel Barenboim startet einen neuen Da-Ponte-Zyklus, er dirigiert zweimal den „Ring des Nibelungen“, zudem ist ab Herbst 2022 bereits eine Neuinszenierung von Wagners Tetralogie geplant. Wäre es nicht interessanter, Barenboim würde Stücke zur Chefsache machen, die er noch nicht am Haus interpretiert hat?

Daniel Barenboim macht ja „Die lustigen Weiber von Windsor“ und „Samson et Dalila“. Aber was Mozart betrifft, so finde ich, der gehört auch zentral an die Staatsoper. In der kommenden Saison werden wir zwei Mozart-Opern neu herausbringen, bei den Barocktagen 2020 wird es außerdem eines seiner Frühwerke geben. Auch auf Barenboims Wunsch hin haben wir mit Vincent Huguet einen jungen französischen Regisseur verpflichtet, der einer der letzten Assistenten von Patrice Chéreau war. Wir haben ihn gut kennengelernt, als er hier bei uns die Wiederaufnahme von Chéreaus „Elektra“ gemacht hat. Und was den „Ring des Nibelungen“ betrifft: Als wir die beiden Serien, die im September stattfinden werden, vor einem Monat in den Vorverkauf gebracht haben, waren alle Vorstellungen innerhalb von 40 Minuten verkauft!

Georg Quander, von 1992 bis 2001 Intendant der Staatsoper, hat in einem Interview mit dem Tagesspiegel über Barenboim gesagt: „De facto sah es so aus, dass ich mit ihm ausschließlich über seine eigenen Produktionen geredet habe. Danach kam alles andere, da hatte ich volle Freiheit. Er hat die Spielzeit im Grunde erst zur Kenntnis genommen, wenn sie gedruckt vorlag“. Erleben Sie Ähnliches?

Nein, überhaupt nicht. Wir reden von der ersten Sekunde an offen über alles und können uns auch gegenseitig sagen, wenn wir eine Idee des anderen nicht für sinnvoll halten. Gleichzeitig weiß Herr Barenboim, dass ich als neuer Intendant eigene Akzente setzen muss. Ich denke da beispielsweise an die Barocktage, die ich neu eingeführt habe und die gleich beim ersten Mal enorm erfolgreich waren. Ich fühle mich von ihm in keiner Weise beschränkt.

Das Gespräch führte Frederik Hanssen

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