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Spezialist für Alte Musik: der Dirigent René Jacobs.

© Molina Visuals

Rias-Kammerchor in der Philharmonie: Wir sind’s

Zum Niederknien schön: Bachs Johannespassion mit dem Rias-Kammerchor unter René Jacobs

Jesus ist einer von ihnen. Da können die „Jüden“ noch so wütend ihr „Kreuzige ihn!“ anstimmen, es ändert nichts, er steht mittendrin. Alle Solisten haben sich am Karfreitag in der Philharmonie zu den Sängern des Rias-Kammerchors gesellt, gemeinsam stimmen sie die Choräle und Chöre der Johannes-Passion an, treten hervor, reihen sich wieder ein, auch Johannes Weisser als souverän-gütiger Jesus.

Nicht die schlechteste Art, Bachs Juden-Hetzchören beizukommen, die in heutigen Ohren so antisemitisch klingen. René Jacobs vermeidet die Konfrontation – hier Gottes Sohn, dort der Mob, hier die gläubigen Christen, dort die mörderischen „Jüden“ – und probiert stattdessen die Integration. Es ist viel geschrieben worden über den Einfluss von Zeitgeist und Luther auf Bach, über die Tempelaristokratie, die der Bibel zufolge Jesus auslieferte (und eben nicht „das Volk“), über die kommentierenden freien Passions-Verse, die nicht die „Jüden“, sondern die Gemeinschaft der Sünder in die Verantwortung zieht. Ich bin’s, wir sind’s: Mitläufer, Selbstgerechte, Ausgrenzer, Abschieber. Wer ist frei von Ressentiment?

Schon im Eingangschor macht Jacobs die Gleichzeitigkeit von Schmerz und Trost aus, interpretiert die wellenförmige Linienführung der Streicher, als segelten die Menschheitserlösungsbotschafter über ein Tränenmeer. Bei den Chorälen bremst er das Tempo aus, verwandelt sie mit sanftem Legato und kurzen Fermaten in Inseln der Friedfertigkeit, der Kammerchor singt sie zum Niederknien schön. Als Pilatus die entscheidende Frage stellt, „Was ist Wahrheit?“, halten alle kurz inne.

Die Johannes-Passion als Bibel-Oper und Psychodrama, in der Uraufführungsfassung von 1724. Die mit Leidenschaft und Präzision zu Werke gehende Akademie für Alte Musik, der Chor, die Solisten – unter denen Sebastian Kohlhepp als deklamatorisch-lebendiger Evangelist und der klare Altus von Benno Schachtner herausragen – sie alle scheuen das Musiktheatralische nicht. Aber eben kultiviert, ohne jede Gewalt. Das Orchester rechts, die Bläser vorn, die Choristen links und hinten, auch in kleineren Gruppen singend, in der Mitte die mitunter inhomogene Continuo-Gruppe: So differenziert die Musik sich aus und verzahnt sich wieder. Auch das ist Versöhnung – eine Frage der Platzierung.

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