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Kultur: Wotan ist kein Konzernchef

Der Dramatiker Tankred Dorst über seine Bayreuther Pläne

Was reizt den weltweit gespielten Dramatiker Tankred Dorst, der – wie Sie sagen – noch mindestens dreißig Stücke schreiben möchte, als OpernRegienovize 2006 in Bayreuth den „Ring des Nibelungen“ zu inszenieren?

Natürlich hat mich das Angebot aus Bayreuth überrascht, und ich war zunächst mal erschrocken. Ich habe bisher nur eigene Stücke im Schauspiel inszeniert, einige wurden auch vertont, und es gibt eine Neigung zum Musiktheater –

Gerade wurde von Ihnen an der Wiesbadener Oper „Henry Purcells Traum von King Arthur“ uraufgeführt...

Doch da war ich der Autor, nicht der Regisseur. Und beim „Ring“ sind es statt nur einer Oper zum Ausprobieren gleich vier Stücke auf einmal! Aber mein Vorteil ist: Ich muss nicht mehr Karriere machen als Opernregisseur. Mich lockt nur dieses große wunderliche Werk.

Warum?

Wolfgang Wagner und seine Frau haben Ursula Ehler und mich –

– Ihre Frau und Mitarbeiterin, auch beim „Ring“ in Bayreuth –

Sie haben uns wohl angesprochen, weil Wolfgang Wagner meinen „Merlin“ gesehen hatte. Dieser „Merlin“ erzählt gleichfalls ein großes Weltmärchen – für heute. Was mich jetzt beim „Ring“ interessiert: Wie wirkt eine so alte, mythische Geschichte in unsere Gegenwart hinein? Wir leben ja in unserer Welt und in unserem Leben zugleich mit anderen Welten und werden nicht nur von den Lebenden beeinflusst. Es gibt die Macht der Mythen und das Fortwirken der Toten, selbst wenn sie nur unsere Fantasie beherrschen. Diese Fragen bewegen mich beim eigenen Schreiben immer wieder, bei „Merlin“, auch bei „Karlos“ oder zuletzt in „Purcells Traum“.

Aber bei Wagner in Bayreuth können Sie nicht selber schreibend eingreifen!

Das ist leider so. Oder gottseidank so. Der Text und die Noten sind tabu, aber aus der Fragestellung könnte sich auch für die Regie eine Form ergeben, den „Ring“ neu zu erzählen. Ich versuche, das Werk von innen heraus zu verstehen und es mir anzuverwandeln.

Patrice Chéreau, der zuvor auch Ihr Revolutionsdrama „Toller“ inszeniert hatte, wollte zwischen 1976 und 1980 bei seinem gefeierten „Jahrhundert-Ring“ ein „imaginäres Bild der Gegenwart“ entdecken.

Chéreaus wunderbare Inszenierung habe ich insgesamt vier Mal gesehen. Er hatte den „Ring“ damals als bürgerliches Endzeitdrama von Kostümen und Gestus her in Wagners eigene Zeit verlegt. Das wäre nicht mein Weg. Ich möchte auf keinen Fall eine Verbürgerlichung der Geschichte von Göttern und Halbgöttern. Das hat man – meist weniger genial als Chéreau – schon zu oft gemacht. Ich möchte auch keine Ironisierung oder konventionelle Aktualisierung. Nicht Wotan als Wirtschaftsmagnat.

An was denken Sie stattdessen?

Was es und wie es genau wird, das ergibt erst die Arbeit. Aber meine Vorstellung ist, die Figuren eher zu vergrößern als zu verkleinern. Die Götter und Halbgötter sollten fremd, fern und mächtig bleiben, so wie uns unser Leben und unsere eigenen Dämonen trotz aller Aufgeklärtheit und technischen Modernität oft fern, fremd und unbeherrschbar erscheinen. Ich kann mir vorstellen, die Wagner-Götter können durch steinerne Wände gehen oder manifestieren sich unversehens in einem Lichtstrahl. Auch eine Welt oder Parallelwelten sind denkbar, in denen der Wagner-Wald zwischen Wolkenkratzern wächst und Spuren der Zivilisation sich mit Natur oder Zitaten der Natur durchmischen.

Dann wird, jenseits der Personenregie, sehr viel vom Bühnenbild und den Kostümen abhängen. Wer sind Ihre Partner?

Das Bühnenbild wird Frank Philipp Schlößmann machen, der schon mit Harry Kupfer oder Andreas Homoki gearbeitet hat. Die Kostüme macht Bernd Skodzig, der in Berlin unter anderem am Deutschen Theater und an der Schaubühne tätig war. Während wir uns diesem Himalaya des Musiktheaters erst annähern, haben wir – zusammen mit dem Dramaturg Norbert Abels von der Frankfurter Oper – schon eine gemeinsame Sprache gefunden und den konzeptionellen Grundriss entwickelt. Hinzu kommt natürlich der Dirigent Christian Thielemann.

Thielemann und Sie waren sich bis vor kurzem persönlich noch nie begegnet. Wie war das erste Treffen?

Menschlich und professionell sehr angenehm. Christian Thielemann hat ja erklärtermaßen einige Vorbehalte gegen das, was ihm als allzu selbstherrliches Regietheater erscheint. Aber hier geht es nur um mein Konzept. Und ich hoffe, von ihm jetzt viel über die Musik und sein besonderes Verständnis des Komponisten Richard Wagner zu lernen.

Sie werden 2006 bei der Premiere 80 Jahre alt sein, und Sie müssen dann auch in den folgenden vier Jahren in Bayreuth die Wiederaufnahme-Proben Ihres „Rings“ leiten. Schreiben Sie denn trotzdem die vielen eigenen Stücke, die Sie bereits im Kopf haben?

Wer schriebe sie sonst!

Das Gespräch führte Peter von Becker.

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